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© Heinrich

Judenverfolgung: Die Bank im Stadtpark

Ein Zeitzeuge erinnert sich, wie er als zehnjähriger Hitlerjunge die Diskriminierung seiner jüdischen Nachbarn erlebte

Heute heißt er Volkspark, damals Stadtpark Schöneberg. Ich streune nach vielen Jahren auf Kindheitsspuren, vom Ententeich, wo wir die U-Bahn sehen konnten, vorbei am Rodelberg und weiter bis zur heimischen Kufsteiner Straße.

Doch halt! Wenige Schritte davor, die von hohen Büschen eingefasste Nische - ja, die gibt's immer noch, und die Bank. Damals, vor 70 Jahren, war sie gelb gestrichen, heute steht hier ein grünes Exemplar. 1938 war sie die einzige ekel-gelbe im ganzen Park, von den Blicken abgesondert und mit abscheulicher Inschrift reserviert "Nur für Juden". Und davor ich, der zehnjährige Quintaner, der nie hier einen Menschen sitzen sah. Denn wer wollte sich schon in diese vermüllte Ecke setzen, sich in ihrem Gestank erholen? Auch ich, gerade ein halbes Jahr Hitlerjugend-Pimpf, konnte das nicht begreifen. Ich kannte doch Juden, das Bayerische Viertel bewohnten viele. Unser Zahnarzt Dr. Marx hatte mir stolz sein Eisernes Kreuz 1. Klasse aus dem Ersten Weltkrieg gezeigt, wohl meinend: "Mir kann nichts passieren." Er konnte noch auswandern. Mein Kindergarten in der Jenaer Straße: jüdisch geleitet, und mein Kinderarzt: auch ein Jude. Sollten sie auf dieser Bank Platz nehmen zum Ausruhen? Und die Lehrer und Schüler der Luise-Zickel-Schule bei uns gegenüber in der Kufsteiner Straße? Ich fragte 1942 meine Mutter: Wo kommen die denn alle hin? Sie: (und sie glaubte, das sei harmlos): "Nach Lietzmannstadt ins Ghetto."

10. November 1938. Wir gehen wie täglich zur Schule, Freund Bodo und ich: Kufsteiner, Badensche, Babelsberger, Waghäuseler, Prinzregentenstraße: Treitschke-Oberschule. Doch was ist das? In der Babelsberger steht ein Löschzug. Nanu, hier brennt ja gar nichts. Ach so: die Schläuche führen alle durch die Einfahrt zum Hinterhof. Na, das sehen wir dann von der Waghäuseler aus, über die Schrebergärten hinweg.

Hier angelangt, staunen wir, inzwischen zu dritt: Auf den Dächern der Hinterhäuser sitzen Feuerwehrmänner, schicken ab und an einen kurzen Strahl auf das mächtige gewölbte, qualmende Dach der modernen Synagoge. "Mensch, der Judentempel brennt ja!", sagt einer. Und ich: "Kiek mal, die löschen gar nicht, sondern schützen nur die anderen Dächer." So stehen wir und gaffen, vielleicht zehn Minuten. Dann aber los! Die ganze Schule wird ja in Aufruhr sein und in den Fenstern hängen. Da merkt keiner, dass wir zu spät kommen.

Denkste! Kein Fenster offen, alles still. Nanu? Haben die alle nichts mitgekriegt? Wir schleichen uns in den Umkleideraum, und dann in Sportzeug in die Turnhalle. Pustekuchen: Der alte Hallup, unser Turnlehrer, 60 Jahre und beleibt, mit Hindenburg-Stoppelfrisur, hat uns entdeckt: "Wo kommt ihr her?" Wir stottern: "Ja, von - also, der Juden..., die Synagoge brennt doch!" Er: "Wat wollt ihr? Eene runter oder Eintrag ins Klassenbuch?" Wir gucken uns an und antworten: "Eene runter, Herr Studienrat." Dann langt er zu: jedem rechts und links eine Ohrfeige. "Ab mit euch!" Wir sind noch mal davongekommen. Jahre später frage ich mich immer wieder: Was war das nun? Alle Fenster zu, eine ganze Oberschule schweigend. Ein Weggucken, Wegducken, halb stumme Zustimmung, halb Ablehnung? Und des Turnlehrers Strafen? Nur disziplinarisch, wegen Zuspätkommens? Oder mehr: eine Art Protestgeste des alten Hallup, weil wir gegafft haben?

Nachmittags fährt meine Mutter mit mir zum Ku'damm. In der Straßenbahn erzählt sie mir leise, sie habe vormittags am Bayerischen Platz gesehen, wie ein altes jüdisches Ehepaar die Scherben seines Lädchens auf dem Bürgersteig zusammenzufegen versuchte. Sie nimmt der Greisin helfend den Besen aus der Hand. Wie sie nun so fegt, bauen sich Leute hinter ihr auf: "Den Juden auch noch helfen! Na, so was! Wie kommt die sich vor? Was denkt die sich eigentlich?" Meine Mutter dreht sich um und sagt: "Von meinen Eltern habe ich gelernt, dass man alten Leuten helfen soll." Da war Ruhe.

Am Ku'damm zeigt mir meine Mutter die zerstörten Schaufenster und verwüsteten Auslagen vom Kaufhaus F. W. Grünfeld, wo wir stets meine Kinderkleidung besorgten, dann beim mondänen Modegeschäft Horn mit seinen zersplitterten Riesenscheiben und bei vielen anderen jüdischen Geschäften. Wir durchqueren Scherbenmassen. Was wollte damals meine Mutter? Ich glaube, mich nur einfach zum Zeugen machen.

Fünf Jahre später, 1943, nach den ersten Großangriffen, durchqueren wir am Ku'damm und in der Tauentzienstraße Trümmermassen. So schnell kann sich das Blatt wenden. René Leudesdorff

Der Autor ist Pfarrer im Ruhestand und wohnt heute in Flensburg.

René Leudesdorff

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