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Jüdische Gemeinde Berlin: Gideon Joffe bestreitet Wahlmanipulation

Es gibt neue Vorwürfe wegen Wahlmanipulation in der Jüdischen Gemeinde. Nun packt ein Zeuge aus, der Vorsitzende Gideon Joffe dementiert.

„Endlich kann ich mein Herz erleichtern“, sagt Boris Braun am Freitagmittag – und erzählt von den Ungeheuerlichkeiten, die er in der Jüdischen Gemeinde Berlin erlebt haben will. Der gläubige Mann mit dem Vollbart erhebt gewaltige Vorwürfe gegen Gideon Joffe, den Vorsitzenden der Gemeinde. Der soll systematisch Briefwahlunterlagen manipuliert und andere dazu angestiftet haben. Sogar von Stimmenkauf ist die Rede. Sollte zutreffen, was Boris Braun und andere Zeugen gegenüber dem RBB aussagen, könnte das auch die Strafverfolgungsbehörden interessieren. Joffe bestreitet die Vorwürfe.

„Ich wollte dazu beitragen, dass das jüdische Leben in der Stadt wächst. Deshalb habe ich mich Gideon Joffe angeschlossen“, sagt Boris Braun. Bei der Wahl zum Gemeindeparlament kandidierte er mit Joffes Koach-Gruppe. Als Joffe sein Team aufforderte, „möglichst viele Stimmen von Briefwählern einzusammeln“, dachte er sich noch nichts. Braun sprach Familienmitglieder und Freunde an und bat sie, vor dem Wahltag per Briefwahl abzustimmen. Meistens habe er beim Ausfüllen daneben gestanden, sagt Braun.

Ein paar Tage später, so Braun, sei Joffe zu ihm gekommen und habe sich über eine Briefwählerin beschwert, die ein Kreuz bei einem von Joffes Konkurrenten gesetzt hatte.

Da habe er sich gewundert und Joffe gefragt: „Woher weißt Du das? Der Umschlag ist doch zu. Macht ihr die auf?“ Joffe habe geantwortet, bei der Briefwahl könne man machen, was man wolle. Weil die Wählerin fünf Kreuze gemacht hatte statt der 21, die sie hätte vergeben können, habe Joffe vorgeschlagen, selbst die restlichen Kreuze zu setzen.

Joffe gibt zu, „die Mitglieder meiner Gruppierung gebeten zu haben, Familienmitglieder, Freunde und Bekannte zur Briefwahl zu motivieren“. Denn die Wahlbeteiligung sei traditionell gering. Den Vorwurf, Briefwahlunterlagen geöffnet und neu angekreuzt zu haben, weist er zurück; das sei „absurd“. Joffe sagt: „Es handelt sich um eine gezielte Diffamierungsaktion des Herrn Braun, dem es nicht gelungen ist, uns zu einer weiteren Zuammenarbeit mit ihm zu bewegen.“

Reinen Tisch machen

Braun war ab 2011 Kultusdezernent. Bei der Wahl 2015 trat er als unabhängiger Kandidat an – nach Joffes Aussagen, weil sich Koach aufgrund von Brauns „unwürdigen, dubiosen Praktiken als Kultusdezernent“ getrennt habe. Braun schaffte es nicht wieder ins Gemeindeparlament.

Ihm gehe es darum, reinen Tisch zu machen, sagt Braun – und packt weiter aus: „Die Briefwahlunterlagen wurden aufgemacht, neu angekreuzt und weitergegeben“, es sei systematisch manipuliert worden. Auch Blanko-Stimmzettel aus dem Seniorenheim seien ausgefüllt worden. „Ich bin 2005 nach Deutschland gekommen, ich hatte keine Ahnung, was erlaubt ist und was nicht“, gibt er zu. „Ich habe Joffe alles geglaubt.“

Kurz vor den Wahlen 2011 habe Joffe ihn in die Nähe des Wahllokals in der Oranienburger Straße gebeten und ihn gefragt, ob er weitere Briefwahlumschläge in die dortigen Urnen werfen könne. Braun ließ sich auch dazu überreden: „Joffe hat zwei große Supermarkttüten voller Briefwahlumschlägen aus dem Kofferraum seines Autos geholt, das waren bestimmt 150, 200 Umschläge. Ich sollte die in die Urnen werfen.“ Als er ihn gefragt habe, warum er das nicht selbst mache, habe ihm Joffe geantwortet, er habe schon viele reingeworfen. „Mehr geht nicht, sonst mache ich mich verdächtig“, habe er gesagt. Joffe hingegen erklärt: „Auch diese Behauptung ist völlig haltlos und abstrus.“

Die Jüdische Gemeinde hat 9000 wahlberechtigte Mitglieder. Von den 2600 abgegebenen Stimmen 2011 kamen 900 per Brief. Als das Wahlergebnis verkündet wurde, wunderten sich viele, dass die Briefwähler offenbar so anders gewählt hatten als die Wähler an der Urne, nämlich eindeutig zugunsten von Joffes Wahlbündnis „Koach“. Ohne Briefwahl hätte die Gruppe 8 der 21 Parlamentssitze errungen, mit Briefwahl kam sie auf 14 Sitze. Mitglieder des Oppositionsbündnisses fochten die Wahl an. Das Schiedsgericht der Gemeinde bestätigte, dass es „eine konzertierte Abholaktion von Briefen gegeben hatte“. Aber es ließ sich nicht nachweisen, dass Boten beim Ausfüllen der Briefwahlunterlagen zugegen waren.

Massive Vorwürfe gegen Joffe und sein Team

„Vor der entscheidenden Sitzung des Schiedsgerichts sagte mir Joffe, ich solle unbedingt fern bleiben, sonst könnte es heikel werden“, sagt Boris Braun. Also habe er gesagt, er müsse seine Familie in Westdeutschland besuchen. Nach Joffes Darstellung „hatte Herr Braun aufgrund seiner beschränkten Deutschkenntnisse Angst davor, sich den Fragen der Schiedsrichter in aller Öffentlichkeit zu stellen“.

Auch nach der Wahl im Dezember 2015 gab es massive Vorwürfe gegen Joffe und sein Team, die Briefwahl manipuliert zu haben. Nachdem alle Stimmen, auch die der Briefwähler ausgezählt waren, lag die Oppositionsgruppe Emet vorne. Die Wahlkommission verkündete aber den Sieg für Koach. „Uns wurde gesagt, dass plötzlich noch eine Wahlurne aufgetaucht sei, von der vorher keiner gewusst hatte. Die habe das Ergebnis gedreht“, sagte Oppositionsführer Sergey Lagodinsky. Emet rief den Zentralrat der Juden in Deutschland um Hilfe an. Die dortigen Schiedsrichter erklärten das Wahlergebnis für vorläufig.

Der Senat sei daran interessiert, „dass sich möglichst alle Mitglieder der Jüdischen Gemeinde durch ihren Vorstand repräsentiert fühlen“, betonte die Senatskanzlei in einer Stellungnahme am Freitag. "Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Der Senat führt die Beziehungen zum amtierenden Vorstand fort, bis ein neuer Vorstand rechtskräftig bestätigt worden ist“.

„Gideon Joffe muss zurücktreten“, fordert Sergey Lagodinsky. Es müsse Neuwahlen unter neutraler Aufsicht geben. Man denke auch über eine Strafanzeige gegen Joffe nach. Joffe prüft dagegen die „Einleitung rechtlicher Schritte gegen Herrn Braun“.

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