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© dpa

Jüdische Gemeinde: Jubelstimmung am Trauertag

Der Mauerfall veränderte auch die Jüdische Gemeinde einschneidend. Für die russischen Zuwanderer begann am 9. November der Weg in die Freiheit.

Der 9. November ist für die jüdische Gemeinschaft nicht mehr nur ein Tag der Trauer. Denn viele Zuwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion erinnern sich gerne an den 9. November, an den 9. November 1989. „Für die russischsprachigen Zuwanderer war der Mauerfall sehr wichtig. Ohne dieses Ereignis wären viele gar nicht hier“, sagt Eleonora Shakhnikova, die das Integrationsbüro der Jüdischen Gemeinde in Berlin leitet. „Wir russischsprachigen Zuwanderer empfinden den 9. November wie alle anderen Berliner auch als unseren Feiertag.“ Sie selbst habe den Mauerfall vor zwanzig Jahren in St. Petersburg verfolgt. „Nie hätte ich mir träumen lassen, dass wir den 9. November einmal in Deutschland in Freiheit feiern können. Nun ist es so weit.“ Das sei ein Grund zu großer Freude.

1989 hatte die Jüdische Gemeinde in West-Berlin 2500 Mitglieder, in Ost-Berlin 209. Heute hat die wiedervereinigte Gemeinde 11 000 Mitglieder. Deutschlandweit ist die Zahl der Mitglieder in den vergangenen zwanzig Jahren von 30 000 auf über 100 000 gestiegen. Im Frühjahr 1990 hatte die DDR beschlossen, jüdischen Menschen die Zuwanderung zu erlauben. Das griff die gesamtdeutsche Bundesregierung nach der Wiedervereinigung auf und ermöglichte Juden aus der ehemaligen Sowjetunion die erleichterte Zuwanderung, weil man bewusst jüdisches Leben in Deutschland befördern wollte. Das hat gewirkt. Ohne diese Regelung gäbe es vielleicht an etlichen Orten heute gar keine jüdische Gemeinde mehr, weil auch jüdische Familien nicht mehr viele Kinder bekommen. Erst durch die russischsprachigen Zuwanderer blühten die jüdischen Gemeinden in Deutschland wieder auf, auch wenn die Aufnahme der vielen Zuwanderer viele Gemeinden bis heute an die Grenze der Belastbarkeit bringt.

Diese Woche forderten die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, und die Berliner FDP, den 9. November zum zentralen, arbeitsfreien Feiertag für die Deutschen zu machen. Trotz der geteilten Freude über den Tag geht dieser Vorschlag der jüdischen Gemeinschaft zu weit. „Der 9. November als Feiertag? Gott bewahre“, sagt Levi Salomon von der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Die Menschen hätten natürlich das Recht, an diesem Tag zu feiern, weil sie sich an den Mauerfall erinnern. Auch er freue sich, dass die Deutschen in Freiheit leben können und dass er 1991 von Moskau nach Berlin auswandern konnte. Aber für ihn sei der 9. November vor allem ein sehr trauriger Tag, weil er an das Novemberpogrom von 1938 erinnert, an dem die Nazis Synagogen verbrannten, jüdische Geschäfte zerstörten und Hunderte jüdische Menschen ermordeten. So sieht es auch Lala Süsskind, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin. „Wir trauern, und zwar in dem Wissen, wie schön es ist, dass es in der jüngeren deutschen Geschichte auch einen 9. November gibt, der keinen Anlass zur Trauer bietet“, sagte Hermann Simon, der Direktor des Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße. Von der Feiertagsidee hält aber auch er nichts.

Er habe den Tag mit sehr gemischten Gefühlen erlebt, sagt Sergey Lagodinsky, Mitglied in der Repräsentantenversammlung der Berliner Gemeinde. Einerseits sei er in Jubelstimmung gewesen, angesichts der Freiheit, die Deutschland durch den Mauerfall beschert wurde. Andererseits habe er bewusst auch dieses Jahr an der Gedenkfeier der Gemeinde zur Erinnerung an 1938 teilgenommen, um ein Zeichen zu setzen, dass diese Erinnerung nicht verblassen dürfe. Lagodinsky sorgt sich, dass die Jubelfeiern zum 20. Jubiläum des Mauerfalls und das gewachsene Selbstbewusstsein der Deutschen das Gedenken an die Pogromnacht 1938 zurückdrängen könnte. „Es wird entscheidend sein, wie das Datum im nächsten Jahr begangen wird, ob es eine Rückkehr zur Nachdenklichkeit geben wird“, so Lagodinsky.

Seitdem das Zuwanderungsgesetz 2005 in Kraft getreten ist, sind kaum noch jüdische Menschen aus Russland und Osteuropa zugewandert. Denn nun müssen auch sie Kenntnisse der deutschen Sprache vorweisen und eine Einladung einer jüdischen Gemeinde in Deutschland. Die jüdischen Gemeinden schrumpfen wieder. 2005 hatten sie bundesweit 108 000 Mitglieder, 2008 nur noch 106 000. 

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