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Jüdische Gemeinde: Skepsis bei der Stimmabgabe

Die Jüdische Gemeinde wählte ein neues Parlament – doch viele bezweifeln, dass sich an der Selbstblockade etwas ändert.

Vor der Sicherheitsschleuse im Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße drängten sich gestern Nachmittag die Besucher. Unter ihnen Touristen, aber auch viele Berliner, die auf Russisch debattierten, wem sie gleich ihre Stimme geben sollten. Denn am gestrigen Sonntag wählte die Jüdische Gemeinde zu Berlin ein neues Gemeindeparlament.

Auch Genrietta Manskaja kreuzte auf dem Wahlbogen 21 Namen an. Wer schon zweimal angetreten sei, der komme für sie nicht infrage, sagte die 68-Jährige, die vor zwölf Jahren aus St. Petersburg eingewandert ist. Präsident Bush dürfe schießlich auch nicht öfter als zweimal antreten. Sie habe vor allem junge Leute gewählt, denn: „Die sind unsere Zukunft.“ Aber Manskaja fürchtet, dass sich auch die neuen Repräsentanten nicht für die Alltagssorgen der 12 000 vorwiegend russischsprachigen Gemeindemitglieder interessieren. Der Kampf um die Rente, der Schriftverkehr mit den Behörden, vieles sei schwierig. „Ich zittere, wenn ich einen Brief von einer Behörde bekomme“, sagte sie. „Jedesmal denke ich, ich habe etwas falsch gemacht.“

Im Gemeindehaus in der Fasanenstraße hatten bis Mittag rund 600 der 9000 Stimmberechtigten ihre Kreuzchen gesetzt. Viele entspannten danach bei Kaffee und Kuchen in der Cafeteria. „Die Wahl bringt nicht viel“, sagten etliche. Auch mancher der 63 Kandidaten äußerte sich skeptisch, ob das neue Gremium wirklich etwas verändern werde, ob die erbitterten internen Kämpfe und Intrigen, die die Gemeinde seit ein paar Jahren lahmlegen, aufhören. Die 21 Repräsentanten werden einzeln gewählt, für ein Wahlbündnis zu stimmen, ist nicht möglich. So werden im neuen Parlament wohl Vertreter aller vier Wahlbündnisse sitzen und sich, wie viele befürchten, erneut gegenseitig blockieren.

Wer der größten jüdischen Gemeinde in Deutschland vorsitzen wird, vermochte niemand zu sagen. Bis Redaktionsschluss stand auch das Ergebnis der Wahl nicht fest. In spätestens vier Wochen wählt das neue Parlament einen neuen Vorstand, der den Vorsitzenden kürt. Alexander Licht, gebürtiger Ukrainer und früherer Geschäftsführer eines Inkassounternehmens, ist seit zwei Jahren Finanzdezernent – und offenbar sicher, dass er es auch bleiben wird. „Ich kann mir viele Vorsitzende vorstellen, aber das ist nicht so wichtig“, sagte er. „Ich bin Finanzdezernent und bestimme sowieso alles.“

Im Vorfeld der Wahl war Licht beschuldigt worden, er habe „körbeweise“ Briefe von Briefwählern im Wahlbüro abgegeben. Immer wieder gab es nach Wahlen in der Jüdischen Gemeinde den Verdacht des Wahlbetrugs. clk

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