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Glaspalast. Die kolorierte Postkarte zeigt das Warenhaus Tietz in der Leipziger Straße kurz nach der Eröffnung 1900. Das Dach zierten eine Weltkugel und Hermes, der Gott der Händler.

© Archiv

Jüdische Handelsgeschichte in Berlin: Der Warenhauskönig

Vor gut 100 Jahren schuf Oscar Tietz die Grundlage des späteren Hertie-Konzerns: In Berlin bauten er und andere jüdische Kaufleute spektakuläre Einkaufspaläste – viele wurden später enteignet.

Wer heute ganz alltäglich Orangen oder Tomaten kauft, ahnt nicht, dass deren Verbreitung in Deutschland einem Warenhausgründer aus einer Kleinstadt mit dem idyllischen Namen Birnbaum an der Warthe zu verdanken ist. Es war der jüdische Kaufmann Oscar Tietz, der das Obst und Gemüse als Erster waggonweise in Warenhäuser der Firma „Hermann Tietz“ liefern ließ und zum Spottpreis verkaufte. Eine Orange kostete Ende des 19. Jahrhunderts normalerweise die damals stolze Summe von 50 Pfennig – Tietz verlangte in seinem ersten Warenhaus in München nur ein Zehntel davon. Und 1909 brachte er in Berlin massenweise Tomaten unters Volk, das die roten Früchte bis dahin kaum kannte.

Unter dem Namen seines Onkels und Geldgebers Hermann Tietz (Hertie) gründete er wahre Einkaufspaläste. In Berlin ging es 1900 an der Leipziger Straße los, wo der ebenfalls jüdische Kaufmann Georg Wertheim drei Jahre zuvor das größte Warenhaus Europas angesiedelt hatte. Zu den bekanntesten Tietz-Filialen in der Stadt gehörte ab 1905 auch das Haus am Alexanderplatz, das mit einer 250 Meter langen Fassade den Weltrekord unter Warenhäusern hielt.

In der Pogromnacht blieben Kaufhäuser verschont – sie waren „arisiert“

Schon in den frühen Jahren wurden die Gründer von Betreibern kleinerer Geschäfte öffentlich angefeindet und verleumdet, unter anderem mit Kampagnen gegen „Schleuderei und Frauenarbeit“ und antisemitischen Parolen. Politiker machten mit, führten baurechtliche Schikanen und eine „Warenhaussondersteuer“ ein. Bei Protesten gegen Warenhäuser wurden auch Schaufenster eingeschlagen – lange vor der Nazizeit.

In größerem Ausmaß wurden die Scheiben kurz nach der Machtübernahme Hitlers im Jahr 1933 zerstört, als die Nationalsozialisten zum Boykott jüdischer Läden aufriefen. In der Pogromnacht am 9. November 1938 blieben die Häuser des 1923 verstorbenen Oscar Tietz nur aus einem Grund verschont: Die Firma war längst „arisiert“.

Schon Jahre vorher hatte das NSDAP-Parteiprogramm Warenhäuser als Bedrohung des Mittelstands gebrandmarkt. Auch nichtjüdischen Firmen wie Karstadt entstanden Nachteile. Die Familie Wertheim wurde 1937 enteignet.

Tietz’ zwei Söhne hatten 1926 das berühmte KaDeWe von dessen jüdischem Gründer Adolf Jandorf übernommen. Das Unternehmen wurde der weltgrößte Warenhauskonzern in Familienbesitz. Doch als Banken unerwartet Kredite verweigerten, mussten die Brüder ihre Anteile 1933 verkaufen und emigrierten. Die Firma wurde in Hertie umbenannt.

Diese Kurzform war ursprünglich eine Handelsmarke von Tietz für Waren ohne genaue Herstellerbezeichnung. Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, besitzt in seiner Sammlung aus Warenhausrelikten zum Beispiel Hertie-Knöpfe.

Der Handelsverbands-Chef plant jetzt auch Jugendcamps

Die Lebensgeschichten jüdischer „Warenhauskönige“ kennt wohl niemand besser als Busch-Petersen. Der 50-Jährige hat Bücher über Tietz und Jandorf geschrieben und hält Vorträge – unter anderem auch in den Oberstufenzentren für Handel. Busch-Petersens Engagement trug dazu bei, dass die Ausbildungsstätte in Marzahn seit 2008 „Oscar-Tietz-Schule“ heißt.

Auch sonst profiliert sich der Lobbyist immer mehr als Protagonist des jüdischen Lebens in Berlin, obwohl er nach eigener Kenntnis kein Jude ist. Der gebürtige Rostocker und studierte Jurist war 1990 auch mal 108 Tage lang Bezirksbürgermeister in Pankow. Zum Handelsverband holte ihn dessen heutiger Vize-Präsident, der Juwelier Heinz Rothholz. Dieser war jahrelang auch Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde und nennt Busch-Petersen seinen „besten Freund“.

Finanzielle Unterstützung aus der Handelsbranche bekommt das „Louis Lewandowski Festival“, eine 2011 von Busch-Petersen gegründete Konzertreihe für Synagogenmusik. Jedes Jahr im Dezember singen Chöre aus aller Welt in Synagogen, aber auch in Kirchen und andernorts. Einzelhändler fördern das Festival nicht zuletzt, weil es die Sondergenehmigung für den Sonntagsverkauf am vierten Advent ermöglicht hat.

Busch-Petersens nächstes Vorhaben sind Jugendcamps mit deutschen, polnischen und israelischen Jugendlichen. Der passende Ort ist für ihn klar: das einst preußische Birnbaum an der Warthe, das im heutigen Polen Miedzychód heißt und 160 Kilometer von Berlin entfernt liegt.

Eine polnische Kleinstadt war Ausgangspunkt der Warenhaus-Kultur

Auf Handelsreise. Nils Busch-Petersen am Oscar-Tietz-Gedenkstein im polnischen Miedzychód, das früher Birnbaum an der Warthe hieß.
Auf Handelsreise. Nils Busch-Petersen am Oscar-Tietz-Gedenkstein im polnischen Miedzychód, das früher Birnbaum an der Warthe hieß.

© Cay Dobberke

Die 11 000-Einwohner-Stadt gilt als „Wiege der deutschen Kaufhäuser“. Oscar Tietz ist dort Ehrenbürger, er hatte seiner Geburtsstätte einen Park, ein Bad und eine Turnhalle gestiftet. Inzwischen gibt es eine Oscar-Tietz-Straße und einen Gedenkstein im Park. Aber nicht nur die Familie Tietz stammte aus Birnbaum, sondern auch sieben weitere jüdische Warenhausgründer wie die weniger bekannten Familien Ury und Knopf.

Über diese Ballung rätseln Experten bis heute. Als Busch-Petersen mit Handelsvertretern soeben wieder einmal zu Besuch war, erzählte eine Lehrerin, schon vor der Warenhaus-Ära hätten viele Kaufleute in der Kleinstadt gelebt.

Georg Wertheim und KaDeWe-Gründer Jandorf gehörten nicht dazu, später aber führten die Wege der Warenhausdynastien durch Firmenübernahmen immer wieder zueinander. Heute geht nur noch die Kaufhof-Gruppe direkt auf einen jüdischen Gründer zurück – nämlich auf Oscar Tietz’ Bruder Leonhard, der 1897 in Stralsund ein Geschäft für „Garn- , Knopf-, Posamentier- und Woll-Waren“ und 1902 in Aachen sein erstes Warenhaus eröffnete; in der Nazizeit übernahmen Banken das Unternehmen.

Auch sein jüngerer Bruder Oscar hatte seine Karriere mit Textilgeschäften begonnen.

Zum Erfolgsrezept gehörten feste Preise, kein Kaufzwang und viel Werbung

Aus heutiger Sicht scheinen Innovationen, die maßgeblich zum Erfolg der Familie beitrugen, selbstverständlich. Aber damals waren sie es nicht. Nach dem Vorbild französischer, britischer und amerikanischer Warenhäuser setzten Oscar und Leonhard Tietz auf ein breites Sortiment. Zuvor hatten sich Geschäfte in der Regel auf eine Warengruppe beschränkt.

Neu waren außerdem feste Bar-Preise, es wurde weder angeschrieben noch gefeilscht. Zum Personal gehörten erstmals Frauen, für die Mitarbeiter und ihre Familien entstanden Wohnungen. Bis dahin war es üblich gewesen, dass Beschäftigte mit den Eigentümern unter einem Dach lebten.

Die „Weißen Wochen“ wurden legendär

Anders als im 19. Jahrhundert gewohnt, war das Betreten eines Ladens nicht mehr mit einem Kaufzwang verbunden. Alle Warenhäuser setzten auf Kulanz und tauschten Waren schon bei „Nichtgefallen“ um. Berühmtheit erlangten die „Weißen Wochen“ im eigentlich umsatzschwachen Februar. Oscar Tietz erfand den spektakulären Abverkauf von Betten-, Bad- und Haushaltswaren mit riesigen weißen Warenstapeln, strahlendem Licht und viel Reklame. Bald zogen andere nach.

Auch die erste Berliner Rolltreppe ging 1925 im Haus an der Leipziger Straße in Betrieb. Um Fachkräfte an sich zu binden, führte Tietz sogar die Sonntagsruhe ein. Im Streit um Sonntagsverkäufe können sich Handelsfunktionäre also kaum auf ihn berufen.

Begraben ist Oscar Tietz auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee. Hertie gehörte von 1994 bis 2005 zu Karstadt, der Name verschwand 2008 mit der Insolvenz. Zuletzt hatte das britische Unternehmen Dawnay Day die Bezeichnung für Billigkaufhäuser genutzt, mit den prächtigen alten Konsumtempeln verband diese nichts mehr.

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