zum Hauptinhalt
Lieder, die vereinen: Die CD ist gegen eine Spende übers Internet erhältlich. Abb.: Tsp

© promo

Jüdischen und palästinensische Jugendliche singen gemeinsam von den Nachtigallen auf den Zweigen ihres Herzens: Der Klang des Friedens

Micah Hendler ging aus den USA nach Jerusalem und gründete einen Chor, der verbindet. Er kommt demnächst nach Berlin.

Was bewegt einen jungen, hochtalentierten Amerikaner dazu, in Jerusalem zu leben, um dort Musik zu machen? Für Micah Hendler war das keine Frage. Er singe einfach gern und viel, „seit ich auf der Welt bin“. Seine Eltern sind Anwälte in Washington – das hätte auch sein Weg sein können. Die eigene Berufung fand Hendler aber schon im Alter von 15 Jahren, als ihm ein Freund von „Seeds of Peace“ erzählte. Das ist eine Organisation, die Jugendliche aus Konfliktregionen zusammenbringt, um ihre inneren Grenzen zu überwinden, voneinander zu lernen und auf vielerlei Weise Wandel zu bewirken, im persönlichen Umfeld und in der Gesellschaft, in der sie leben.

„Ich dachte, das ist ja die coolste Sache, die es überhaupt gibt“, beschreibt Hendler seine Eindrücke, auch von den drei Wochen in einem Feriencamp in Maine. Dort sprachen unter der Leitung von professionellen Moderatoren Teenager aus verfeindeten Gegenden über ihre Geschichtsbilder und über persönliche Erfahrungen, über Inhaftierungen, Verlust von Angehörigen, eingeschränkte Bewegungsfreiheit, Bildungsnachteile.

Zu den Programmen gehört es auch, dass Jugendliche aus verfeindeten Regionen Vertrauen zueinander gewinnen. Da müssen sich Israelis und Palästinenser beim Hochseilklettern gegenseitig sichern, spielen Inder und Pakistaner im selben Fußballteam.

Musik als Friedensinstrument

Die eigentliche Arbeit beginnt freilich erst, wenn die Jugendlichen in ihre alte Umgebung zurückkehren, die sich nicht, wie sie, verändert hat. Ein Netzwerk von Mentoren, darunter Ehrenamtliche der Harvard Law School, hilft ihnen, Führungsfähigkeiten weiterzuentwickeln, durch Freundschaften, durch die Vertiefung des Wissens über den jeweiligen Konflikt, durch Trainings in Verhandlungstechnik und Kommunikation. In den Sommercamps sind schon viele tragfähige Freundschaften entstanden. Auch Micah Hendler hat da Freunde gefunden. Das Thema ließ ihn nicht los. „Vorher wusste ich nicht, was ich alles nicht weiß“, beschreibt er das Erweckungserlebnis, das einer Leidenschaft für das Thema Dialog entsprang.

Er ging der Frage nach, welche Rolle die Musik dabei spielen kann, eine solche Friedenssaat weiterzuverbreiten. Diesem Thema widmete er dann auch seine Examensarbeit in Yale, wo er Musik und „International Studies“ belegt hatte. Seine jüdische Herkunft legt nahe, dass er Hebräisch spricht. Aber er lernte auch Arabisch, sowohl die Sprache als auch ein typisches Instrument, unter anderem in Damaskus. Der Theorie folgten Taten. Er ging nach Jerusalem und gründete den „YMCA Jerusalem Youth Chorus“. Dort erfährt er seitdem, wie die Musik sich einsetzen lässt als Instrument, um Gemeinschaft zu schaffen und Frieden zu stiften. Begleitet wird das von professionellen, psychologisch gebildeten Moderatoren.

Sog der Sehnsucht

An den Moment, der ihn am tiefsten berührt hat, erinnert sich der 27-Jährige gut. Vor drei Jahren gab es starke Ausbrüche von Gewalt auf beiden Seiten, auch Teenager wurden angegriffen. Er überlegte, die für den nächsten Tag angesetzte Probe abzusagen. Andererseits stand ein Auftritt an. Also überließ er es den Jugendlichen selbst, ob sie kommen wollten oder nicht. Die Hälfte erschien, darunter ein Mädchen aus dem am heftigsten umkämpften Gebiet. „Wie bist du hergekommen“, fragte er sie. Sie erzählte von den Schüssen, dem Tränengas, den Soldaten, die versucht hatten, sie zurückzuhalten. „Ich bin einfach nur gerannt“, sagte sie. „weil ich nirgendwo anders als hier sein wollte.“ Eindruck hinterließ auch ein Junge von der Westbank. Es ist unberechenbar, wie lange man an den Checkpoints braucht, drei bis vier Stunden kann der Weg schon dauern. „Aber gerade dieser Junge ist immer pünktlich.“

Chorgründer Micah Hendler
Chorgründer Micah Hendler

© Doris Spiekermann-Klaas

Auf die Frage, ob er von diesem Fulltime-Job leben kann, sagt er mit breitem Grinsen: „Kaum!“ Zwar hat der Chor Erfolge, tritt im Fernsehen auf und im Radio, hat schon Tourneen durch Japan, England und die USA hinter sich. Und unter den Mitwirkenden auf der CD ist auch ein Freund des Gründers, Sam Tsui, der auf Youtube bekannt ist. Bis zum kommerziellen Erfolg ist es aber noch eine ziemliche Strecke. Die große Belohnung für seinen Einsatz sieht er in einem anderen Aspekt. „Wir machen etwas anders, tun etwas, was wichtig ist und wofür es einen Bedarf gibt“, sagt er. Auf diese Weise könnten Menschen einen Weg finden, die Unterschiede zu überwinden. Daran liegt ihm viel. „Die Jungen müssen nicht wie ihre Eltern gefangen bleiben in dem Teufelskreis aus Hass und Gewalt.“ Hoffnung zu inspirieren, das funktioniert, auch wenn solche Ansätze nicht so oft im Fernsehen vorkommen wie die bewaffneten Auseinandersetzungen.

Ein Zuhause für alle Sänger

„Während wir ein Zuhause für all unsere Sänger schaffen, versuchen wir zu zeigen, wie Jerusalem sein könnte“, steht auf dem Cover der CD. Die Lieder klingen teils eher nach Pop-Musik, das Lied von den Millionen Nachtigallen auf den Zweigen des Herzens könnte man sich gut auch als Gewinner eines europäischen Gesangswettbewerbs vorstellen. Große Begeisterung löste ein Video des Chores aus, das Hendler kürzlich vor Partnern und Freunden der Bürgerstiftung Berlin vorstellte. Im nächsten Sommer kommt der Chor nach Berlin. Vielleicht hat er es bis dahin dank eines hellhörigen Produzenten schon in die Charts geschafft.

ymca.jerusalemyouthchorus.org,

seedsofpeace.org

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false