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Berlin: Jüdisches Leben in Berlin: Angst und Unruhe - zum ersten Mal seit Kriegsende. Ältere Juden erinnern sich

Erwin Goldberg musste damals fliehen, kam dann aber immer wieder gern zurück nach Berlin. 1938 verließ er seine Geburtsstadt aus Furcht vor den Nazis und landete schließlich in Argentinien.

Erwin Goldberg musste damals fliehen, kam dann aber immer wieder gern zurück nach Berlin. 1938 verließ er seine Geburtsstadt aus Furcht vor den Nazis und landete schließlich in Argentinien. Dennoch hat es ihn nach dem Krieg immer wieder ohne Groll zurück in seine Heimatstadt gezogen. Alljährlich verbringt er ein paar Monate hier - wegen der Atmosphäre und der Kultur. In diesem Jahr wird der 86-Jährige seinen Aufenthalt wohl eher beenden als geplant. "Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas noch einmal passieren kann", sagt er angesichts der antisemitischen Vorfälle der jüngsten Zeit. Zwar wisse er, dass es sich bei den Tätern immer nur um Einzelpersonen handele, aber dennoch habe er "ein bisschen Furcht", sagt er - fasst dann seine Gefühle so zusammen: "Es ist entsetzlich. Ich finde da auch keine Zusammenhänge und ich weiß nicht, was ich sagen soll."

Besonders der jüngste Vorfall in der Synagoge Rykestraße, wo zwei nackte Männer versuchten, den Gottesdienst zum Neujahrsfest zu stürmen, macht ihm zu schaffen. Das Gotteshaus ist die Synagoge seiner Kindheit, in der sein später von den Nazis ermordeter Bruder eingesegnet wurde. Goldberg sagt von sich selbst, dass ihn Politik nie interessiert hat. Berlin, das war für ihn nicht die Stadt der Nazis, sondern stand für das Beste an deutscher Kultur. Er hatte sich die Opernbesuche und Begegnungen mit Leo Baeck oder mit Albert Einstein als Erinnerung ins Exil mitgenommen. Jetzt sehnt er sich nach Buenos Aires. "Wissen Sie", sagt er, "dort gibt es so viele Menschen verschiedener Herkunft und Ideologien, dass so etwas nicht passieren kann."

Inge Borck ist in Berlin geboren und geblieben. Sie hat die Nazizeit hier als einziges Mitglied ihrer Familie in einem Versteck überlebt. "Hier ist mein Zuhause." Ihre Kinder und ihre Freunde leben hier. Sie ist Vorsitzende des Sportklubs TuS Makkabi. "Nichtsdestotrotz bin ich das erste Mal seit Kriegsende unglaublich beunruhigt und irritiert und auch ein bisschen verängstigt."

Doch das bedeutet alles nicht, dass sie jetzt die Koffer packt: "Es hat uns ja niemand gezwungen, hierzubleiben", sagt Borck. "Wir leben ja bewusst hier." Sie hat es stets als ihre Aufgabe verstanden, mit ihrem Bleiben die Möglichkeit eines Miteinanders zu demonstrieren - und, so sagt sie, die Juden hätten diese Aufgabe in der Vergangenheit auch hervorragend bewältigt. Aber angesichts jahrzehntelangen vergeblichen Mahnens und der Ereignisse der jüngsten Zeit zieht sie dennoch eine pessimistische Bilanz: "Es hat nicht gereicht."

apa

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