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Berlin: Jüdisches Museum: Sepiafarbene Erinnerungen

Die Achse des Exils wird von der des Holocausts gekreuzt. Die Besucher des Jüdischen Museums können sich im Erdgeschoss entscheiden, wohin sie gehen.

Die Achse des Exils wird von der des Holocausts gekreuzt. Die Besucher des Jüdischen Museums können sich im Erdgeschoss entscheiden, wohin sie gehen. Eine ältere Frau mit einem pinkfarbenen Seidenschal wendet sich nach links in Richtung Theresienstadt, Bergen-Belsen, Auschwitz. Nicht nach Chicago, Kopenhagen, Zürich. So steht es an den Wänden geschrieben. Vor einer Vitrine am Ende des Gangs bleibt sie stehen. Bilder aus dem Leben von Charlotte Ochs, sepiafarbene Fotografien des kleinen Mädchens auf dem Schoß der Mutter, das letzte kurz vor der Deportation der 77-Jährigen nach Theresienstadt. Solche sparsam inszenierten Porträts sind ein wichtiges Element der ersten Ausstellung des Jüdischen Museums.

Zum Thema Fototour: Das Jüdische Museum in Bildern Die Publikumseröffnung war wegen der Terroranschläge in den USA um zwei Tage verschoben worden. Gestern um 10 Uhr nahm das Museum seinen regulären Betrieb auf. Bis zum Abend kamen rund 2300 Besucher. Um 10 Uhr 15 blickt die Frau vor der Vitrine mit den Fotos der Charlotte Ochs hoch und sieht ihr Spiegelbild. Sie nimmt sich den pinkfarbenen Seidenschal vom Hals, bindet ihn an ihre Handtasche und geht weiter.

Klaus Kaminsky gehörte zu den Wenigen, die die Ausstellung zum zweiten Mal sahen. Der 86-jährige war schon am Montag zum Rundgang für die Stifter und Sponsoren eingeladen. Kaminsky, der in Berlin geboren wurde, 1933 nach Südafrika floh und Ende der siebziger Jahre nach Frankfurt am Main übersiedelte, gab dem Museum Familiendokumente, darunter die Geburtsurkunde seines Urgroßvaters. "Großartig und so ausführlich, dass man es gar nicht auf einmal verdauen kann", beurteilt der zurückgekehrte Emigrant die Ausstellung des Jüdischen Museums. Historisch fände er sich gut zurecht in den verschiedenen Abteilungen. "Ich habe ja vieles selbst erlebt."

Ganz ihre eigenen Wege gehen dürfen die Besucher dann doch nicht. Wer auf der steilen Treppe, die zu den Zeitebenen des Libeskind-Baus führt, abbiegen möchte, bevor er das Mittelalter erklommen hat, wird vom Besucherdienst freundlich abgewiesen. Die Gäste sollen sich zwei Jahrtausende Deutsch-Jüdische Geschichte erarbeiten, nicht nur die zwölf schrecklichsten Jahre. "Ich habe neue Dimensionen entdeckt", sagt Keiko Fukuzawa, Journalistin aus Tokio, als sie im 20. Jahrhundert angekommen ist. In Japan würden Juden fast ausschließlich als Opfer gesehen. Sie sei positiv überrascht, das reiche Kulturleben der Juden in Deutschland zu entdecken, verkörpert beispielsweise von der Berliner Salon-Gründerin Henriette Herz.

Raiko Hannemann gehörte zu jenen, die versuchten, das ganze Museum in drei Stunden zu erkunden. Dabei, sagt er, verlor er manchmal den roten Faden. "Mitten in Preußen hängen Jeans", wundert sich der 21-jährige Berliner Geschichtsstudent. Er will wiederkommen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Beim Rundgang durch die Abteilungen bis zu den Kaufhäusern, Kinos und Kabaretts der Weimarer Republik hatte sich Raiko auf den Holocaust gefasst gemacht. "Da kommt gleich ein Schnitt, ein dunkles Loch", hat er erwartet. Dann diese Installation, weiße Gazevorhänge vor einem Wandbild eines KZ-Geländes, weiße Säulen, die schmale Einblicke auf eingeschlossene Koffer und Briefe geben: "Vielleicht ein bisschen zu hell."

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