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Berlin: Jürgen Bachhuber (Geb. 1938)

Jeder Kunde hatte das Recht auf die gute Laune des Meisters

So was von hanseatisch, das gibt es heute überhaupt nicht mehr. Jürgen Bachhuber, schlank, drahtig, Kinnbart, neugierig blitzende Augen, hätte einen Kreuzfahrtkapitän darstellen oder auch nur lässig durch den Hamburger Hafen schippern können und wäre immer die Idealbesetzung gewesen. Viel schwerer war es natürlich, als Berliner Fleischermeister den Legendenstatus zu erreichen, aber einer muss ja, und dann soll er es doch auch draufhaben, nicht wahr?

Beim Bachhuber in der Güntzelstraße kauften die anspruchsvollen Berliner Köche, egal ob Profi oder Amateur, in den Achtzigern und Neunzigern ihr Fleisch. Sie spürten: Da war einer, der nicht nur sein Handwerk, sondern auch ihre Ansprüche verstand, der einem Sternekoch was beibringen und die Oma von nebenan mit einem ausführlichen Verkaufsgespräch über ein 100-Gramm-Schnitzel beglücken konnte.

Seine Arena war der unscheinbare Laden, vor dem sich am Freitag und Sonnabend die Kunden auch vor der Tür aufstellten. Gab es Weihnachten Gänse, dann ließ er der Warteschlange Glühwein servieren und dachte überhaupt nicht daran, sich vom Andrang hetzen zu lassen. Schließlich hatte jeder Kunde das Recht auf Informationen, Kochtipps, Theken-Entertainment, kurz: auf die stets unfassbar gute Laune des Meisters.

Bachhuber, tatsächlich ein Hanseat, geboren 1938 in Helgoland, ging erst spät an Land. Das Kochen hatte er auf großer Fahrt an Bord des Hapag-Frachters „Brandenburg“ gelernt. Schon sein Vater besaß eine Fleischerei, beste Lage am Blankeneser Ende der Elbchaussee, da blieb allerhand Wissen hängen. Doch die Sache mit der Qualität dauerte, denn in der verfressenen jungen Bundesrepublik war Fleisch halt das, was vom Großmarkt kam, Hauptsache schön mager und rosig. Mit diesem Wissen fing Bachhuber junior als junger Meister 1967 in seinem Wilmersdorfer Laden an, verkaufte vor allem Kalbfleisch, superzart und fast weiß, wie man das damals richtig fand.

Doch irgendwann ging ihm auf, dass da irgendetwas schieflief. Natürliches, ohne Hormone und andere Medizin aufgezogenes Kalb sah anders aus, fester und dunkler im Fleisch. Wer damals kritisches Bewusstsein entwickelte, der landete schnell bei der aufblühenden „Nouvelle Cuisine“ und ihren Qualitätsprodukten. Bachhuber war folglich der Erste in Berlin, der Bresse-Poularden, Perlhühner und Tauben heranschaffte, frisches Wild anbot, das bodenständig-würzige Fleisch vom Galloway-Rind entdeckte, Lamm in französischen Zuschnitten verkaufte, wie es heute alltäglich ist.

Und wenn in anspruchsvollen Kochbüchern irgendetwas Rätselhaftes verlangt war, dann ging man skeptisch in den Laden, fragte – Schweinenetz? Kalbsbries? – und wusste doch schon die Antwort: „Klar, hol ich grad aus dem Kühlraum.“ Pastetenspezialisten konnten sich auch darauf verlassen, dass er den in große Scheiben geschnittenen ungeräucherten Speck hatte, den normale Fleischer bestenfalls vom Hörensagen kannten.

Hier gründete ein charismatischer Handwerker seine eigene Gemeinde, aber das war nicht alles: Die Verbreitung des ökologischen Gedankens unter den Berliner Fleischern war sein Werk, er tat sich als einer der Gründerväter des Neuland-Verbunds hervor. Und er warf heikle Zusätze wie Glutamat, Phosphat oder Blutplasma aus den Regalen, experimentierte mit Pökelsalz ohne Salpeter.

„Ich kann nicht anders als schnell“, sagte er gern und bezog das sowohl auf seine Arbeit als auch auf die Ausritte mit der Guzzi ins Brandenburgische. Und so unsentimental schnell verabschiedete er sich auch von seinem Laden. 1995, gerade 58 Jahre alt, packte er zur großen Überraschung aller zusammen, verkaufte das Geschäft mitsamt dem klingenden Namen und zog sich mit seiner zweiten Frau nach Marwitz am Nordwestrand Berlins zurück. Ein kleines Haus, ein großer Garten – und darin, sehr bald wieder, ein winziger Fleischereibetrieb mit Kühlraum und Profimaschinen. Er experimentierte weiter, belieferte kleine Händler der Umgebung, beriet Köche wie Michael Hoffmann vom „Margaux“. In den letzten Jahren stieg er auf ein gemütlicheres Motorrad um und fuhr Ware im Beiwagen aus.

Gute Freunde wussten, dass man ihn vor allem am Sonnabend mittags in bester Laune im Garten treffen konnte: Die Fleischerei musste aufgeräumt werden, es gab Bier und Sekt, unzählige Kostproben von Wurst, Speck und Schinken, dazu das von seiner Frau, einer überzeugten Vegetarierin, im Holzofen gebackene Brot. Hühner gackerten, zwei Zwergschnauzer fegten am Zaun hin und her.

Als ein erster schwerer Herzinfarkt dem sorglosen Leben ein Ende setzte und eine Herzoperation folgte, stellte Bachhuber seine berufstypische Ernährungsweise um, lebte vorsichtiger, versuchte es mit einer Diät ohne Tiereiweiß. Das schien zu funktionieren: Noch am vergangenen Donnerstag saß er mit seinem langjährigen Freund Jan Lässig in der Cafeteria eines Tegeler Motorradgeschäfts und trank den Kaffee, den er eigentlich nicht trinken durfte, beide plauderten über das gerade abgeschlossene Catering, über die Abrechnung und das Leben an sich. Vier Stunden später war Jürgen Bachhuber tot. Bernd Matthies

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