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Berlin: Jürgen Klauß (Geb. 1944)

Etliche seiner Drehbücher: abgelehnt. Er letztendlich: abgehauen

Der Großvater hatte Angst, die Russen könnten sein Perpetuum mobile, an dem er seit 1938 arbeitete, entdecken und damit doch noch Sieger der Geschichte werden. „Wer das einmal besitzt“, flüsterte er seinem Enkel zu, „erringt die Weltherrschaft!“

Jürgen staunte ehrfürchtig, aber bald wusste er, so klug sein Großvater auch war, das Rad der Geschichte drehte sich ganz woanders. Im Kino nämlich, in den West-Berliner Kinos, in die er vor dem Mauerbau täglich ging, nicht einmal, viermal am Tag. Märchenzeit.

Es war einmal in der Deutschen Demokratischen Republik, unweit von Berlin, da residierte die Hochschule für Film und Fernsehen in den Babelsberger Bürgerpalästen. Jürgen Klauß selbst wohnte in der ehemaligen Villa von Richard Tauber, Ausreiten im Park, hauseigener Tennisplatz, ausländische Filme im hochschuleigenen Kino, Filme, die der DDR-Bevölkerung aufgrund ihrer anhaltenden ideologischen Unreife vorenthalten wurden.

An der Hochschule lehrte Konrad Wolf, Bruder des mächtigen Geheimdienstchefs Markus Wolf, Russlandheimkehrer und Kommunist.

Der kleine Konrad, der mit seinem Bruder „Stille Nacht, heilige Nacht“ gesungen hatte, sehr zum Verdruss des Vaters, der nach der Heimkehr von einer kommunistischen Versammlung die Weihnachtsspitze des Baumes abnahm, den roten Stern draufsetzte und die Familie „Höher, der rote Stern geht auf“ anstimmen ließ.

„Ich war neunzehn“, so der Titel des Films, den Konrad Wolf über das Ende des Weltkriegs, über Opfer und Täter drehte, ein unerbittlich wahrer Film, aber es durfte nicht erzählt werden, dass auch Deutsche Opfer der Russen wurden, das war selbst für Wolf nicht durchsetzbar.

Jürgen Klauß wurde Meisterschüler bei Konrad Wolf, Teil der Bohème, die in den Anfangsjahren der DDR den Sozialismus noch für machbar hielt, den regierenden Sozialisten zum Trotz.

Auf der einen Seite die Kamarilla der Unwissenden: Der Möbeltischler Ulbricht, der Dachdecker Honecker, der Expedient Mielke und der Dachdecker-Polier Stoph. Marxisten, die Marx nie ausführlich gelesen, geschweige denn verstanden hatten. Es war absehbar, dass sie das Land ruinieren würden, nicht aus Bösartigkeit, sondern aus Beschränktheit. „Lipsy“, so hieß eine Neuerfindung im Auftrag Walter Ulbrichts, Lipsy war ein Tanz, der den westlich-dekadenten Twist ersetzen sollte, ein Tanz, der sich nie durchsetzte.

Auf der anderen Seite standen die intellektuellen Überväter der DDR, Autoren und Philosophen wie Ernst Bloch, Victor Klemperer, Bertolt Brecht.

„Ein Beweis für die Überlegenheit des Systems war die bessere Literatur“, konstatierte Heiner Müller. „Aber“, gab er zu, „natürlich ist eine Diktatur für Dramatiker farbiger als eine Demokratie. Shakespeare ist in einer Demokratie undenkbar.“

Heiner Müller, der als Kind miterleben musste, wie die Nazis seinen Vater abholten, der sich als Mitautor einer neuen, besseren Wirklichkeit fühlte, da er über Jahre hinweg die Spielformen des intellektuellen Dialogs mitbestimmte, wurde der zweite Ziehvater von Jürgen Klauß.

Heiner Müller, so berichtete es Klauß, war ein Genie des kalkulierten Skandals. Ein Theaterstück war erfolgreich, wenn eine zum Besuch abgestellte sozialistische Brigade mit einem schimpfenden Parteisekretär an der Spitze geschlossen den Theatersaal verließ, ein Sensationserfolg war es, wenn die Premiere abgesagt oder das Stück kurz nach der Premiere abgesetzt wurde, nebst Meldung in den westlichen Medien. Das Totschweigen im eigenen Land einkalkuliert.

Die Karriereplanung war folglich bei allen sozialistischen Kulturschaffenden weiträumig angelegt. Da auch Jürgen Klauß jederzeit damit rechnen musste, sich als Möbelträger bewähren zu müssen, betrieb er „Kraftsportkulturistik“, westdeutsch gesprochen „Bodybuilding“. Er spielte in einer kleinen Band, den „Coopers“, die verboten wurden, der Musik wie des Namens wegen, der an Gary Cooper erinnern sollte. Und er schrieb Drehbuch um Drehbuch.

Abgelehnte Filmprojekte: Porträt eines vom Tode gezeichneten, weil den „frühen, mitunter penisverkürzenden und hodenschrumpfenden Dopingmitteln der DDR gesundheitlich nicht dauerhaft gewachsenen, ehemaligen Spitzensportlers“, das zeigen sollte, welcher „Darwinismus nötig war“, um einen auf das olympische Siegertreppchen zu hieven. Abgelehnt.

„Mein Tag oder Die Welt ist zum Verändern da“. Die Geschichte eines Jungarbeiters, der zum Funktionär aufsteigt, und nicht eine Sekunde darüber nachdenkt, wie die Welt verändert werden könnte, sondern nur energisch darauf hinarbeitet, sich in ihr bequem einzurichten. Angenommen – obwohl Karl-Eduard von Schnitzler sich höchstpersönlich gegen die Ausstrahlung wandte. Immerhin: Der Film wurde nur im Nachtprogramm gezeigt.

Abgelehnt: Ein Romanmanuskript. Kurzer Bescheid des Lektors aus dem Aufbau-Verlag: „Eine so dargestellte DDR existiert nicht.“ Zwischen 1973 und 1977 verfasste Jürgen Klauß 23 Treatments und 14 Drehbücher – „alles nur, um nicht ,Schneeweißchen und Rosenrot‘ verfilmen zu müssen“. Alles für die Schublade.

En vogue waren Indianerfilme, Mantel- und-Degen-Klamotten und natürlich die Olsenbande. In Wandlitz wurden bevorzugt Pornofilme gesehen, aber auch Formans „Einer flog übers Kuckucksnest“, darüber lachte das Politbüro herzhaft.

Sozialistische Komödien hingegen waren unerwünscht. Zugelassen war: „Ein Kessel Buntes“. Was zur Folge hatte, dass die Liste derer, die verzweifelten, immer länger wurde. Freunde, die in den Selbstmord flüchteten, in die Depression, sich in die Trunksucht verabschiedeten; Opfer auch jene, die sich mit dem System einließen und Handlanger des Überwachungsstaats wurden. An die Stelle des „Prinzips Hoffnung“ trat „die deprimierende Erkenntnis, an keiner Stelle seines Lebens ohne staatliche Aufsicht gewesen zu sein, eine Marionette, an deren Fadenenden vor allem die Stasi saß.“

Und Heiner Müller resümierte: „Man kann es so sehen: Die DDR war ein Geschenk für eine Generation von besiegten Kommunisten, Emigranten, Zuchthäuslern, KZlern, die hier einen schönen Lebensabend verbringen durften. Das war’s eigentlich.“

Jürgen Klauß entschloss sich zur Ausreise.

„Nach Bekanntwerden der Übersiedlungsabsichten im Dezember 1977 wurde unserer Diensteinheit über die HA XX das Material zu K. übergeben und die Erfassung für die HA II in der Abteilung XII gelöscht. In der Planung für 1978 war vorgesehen, den K. in der OPK zu bearbeiten.“ Die Planung musste aufgegeben werden.

Konrad Wolf verabschiedete seinen Meisterschüler mit den Worten: „Egal, wo Sie auch hingehen in Deutschland, Sie kommen immer nur von einer Provinz in die andere. Viel Spaß.“ Konrad Wolf irrte. Jürgen Klauß hatte Erfolg im Westen.

Er drehte drei Filme „Ohne Rückfahrkarte“, „Die Grenze“, „Die Matrosen von Kronstadt“, er plante die Verfilmung von Erich Loests „Papierkriege“ und war für die DDR unbequemer denn je. Das veranlasste die Stasi, eine Jugendfreundin von ihm zu bitten, ihn „unter Einsatz aller Möglickeiten und Verführungen“ in die DDR zurückzulocken. Die Freundin weigerte sich – zu ihrem Schaden.

Die Wende kam, und Klauß staunte über die Weinerlichkeit derer, die einst staatstragend gewesen waren. Er visionierte, wie im umgekehrten Fall die wirtschaftliche Eroberung und der Anschluss der BRD an die DDR sich vollzogen hätten. Wie hätte wohl die Siegerjustiz des Politbüros ausgesehen?

Ein über dieses utopische Szenario von Klauß geschriebenes Drehbuch wurde von privaten wie öffentlich-rechtlichen Sendern abgelehnt mit der Begründung, keine neuen Gräben aufreißen zu wollen.

Der „Neue Deutsche Film“ blieb weitgehend humorfrei – der Osten wie der Westen brachte auch nach der Wiedervereinigung keine nennenswerte Komödie hervor, zumindest keine, die Klauß’ Anspruch genügt hätte. Dabei gab es einiges zu lachen. Insbesondere wenn man in den Fluren des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ehemaligen Stasimitarbeitern begegnete, die nun über die Filmvorhaben des einst Ausgebürgerten zu befinden hatten.

Jürgen Klauß hat sich nicht unwohl gefühlt in der BRD, im wiedervereinigten Deutschland, aber heimisch wurde er nicht. Die Erinnerung an die hoffnungsvollen Jahre war zu wach, als dass er sich hätte zu Hause fühlen können zwischen Menschen, denen das Träumen ausgetrieben worden war. Gregor Eisenhauer

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