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Berlin: Jugendamt wusste von Jans Schulängsten

Schon Monate, bevor der Junge in die Tiefe sprang, hatte seine allein erziehende Mutter um Hilfe gebeten

Dem 14-jährigen Jan, der sich am Dienstag vor den Augen der Polizei und der Feuerwehr aus dem Fenster gestürzt hat, geht es besser. „Sein Zustand ist zufrieden stellend“, sagte Charité-Sprecherin Kerstin Ullrich. Wieso Jan sich das Leben nehmen wollte, ist unklar. Nach Informationen des Tagesspiegels hatte die Familie eine Betreuerin des Jugendamtes Mitte. Dort hatte die allein erziehende Mutter um Hilfe bei der Erziehung von Jan und seinen beiden jüngeren Brüdern gebeten. Die Betreuerin sagte, Jan sei sehr ungern zur Schule gegangen – obwohl er ohne Probleme in die 8. Klasse versetzt worden sei.

Wie berichtet, hatte der Junge morgens nicht zur Schule gehen wollen. Als seine Mutter bemerkte, dass er schwänzt, schrieb sie ihm eine Entschuldigung für die erste Stunde und schickte ihn kurz nach 9 Uhr erneut los. Doch der Junge stieg im Treppenhaus des Tiergartener Hauses ganz nach oben, schlug eine Scheibe ein und kletterte auf dem Sims. Das beobachtete ein Beamter des gegenüberliegenden Landeskriminalamtes und redete beruhigend auf den Jungen ein. Nach fünf Minuten stürzte dieser sich dennoch vor den Augen der Polizei und der Feuerwehr in die Tiefe.

Mehrere Hausbewohner beschreiben Jan gleichlautend als „freundlichen und zurückhaltenden Jungen“. Die Mutter und die Familienhelferin besuchten den schwer Verletzten gestern in der Klinik, am Mittwoch war der Junge nach der schweren Operation noch nicht ansprechbar gewesen. Das Jugendamt will der Mutter jetzt Unterstützung anbieten. Wieso auch die Fachhelferin von den offensichtlich großen Problemen des Jungen nichts bemerkt hatte, darüber will das Jugendamt nicht spekulieren.

Der Psychologe der zuständigen schulpsychologischen Beratungsstelle des Bezirks Mitte hatte gestern auch erst aus dieser Zeitung von dem Fall erfahren. „Wir werden uns mit der Schule in Verbindung setzen, inwiefern es Probleme gegeben hat“, sagte Schulpsychologe Wilfried Sorg. Normalerweise wendet sich aber die Schule an die Beratungsstelle – und nicht umgekehrt. Auch in Sorgs Sprechstunden kommen Kinder und Jugendliche, die Schulängste haben. „Allerdings ist mir in 20 Jahren noch kein Fall untergekommen, wo sich ein Schüler das Leben nehmen wollte.“ Die Schüler, die sich an ihn wenden, haben entweder Angst vor schlechten Leistungen, für die sie „von zu Hause Druck erhalten“. Oder aber – dies sei häufiger der Fall – Schüler werden von Klassenkameraden gehänselt oder gar bedroht. Die Gründe dafür würden nicht immer deutlich. Meist spielen „Machtgefühle“ eine Rolle, sagt Sorg, „und die werden nicht immer in der Schule sichtbar. Viele Kinder werden auf dem Schulweg abgefangen und bedroht“, erklärt Schulpsychologe Sorg.

Schulprobleme waren wohl auch der Grund, weshalb im Frühjahr 1995 zwei 17-jährige Schülerinnen aus Marzahn aus dem 17. Stock eines Hochhauses sprangen. Sie hinterließen einen Abschiedsbrief, in dem „schulische Probleme“ als Motiv genannt sind.

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