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Auslandsjahr in Bulgarien: Nickst du auf Deutsch?

In unserer Serie "Weit weit weg" berichten junge Berliner von ihren Auslandsjahren. Nora lebt momentan in Haskovo, Bulgarien, und kann keine kyrillischen Buchstaben lesen. Sie ist froh, denn so konzentriert man sich auf das Wesentliche.

Ich möchte einfach nur Kaffee. Einen Moment stehe ich verzweifelt vor dem Automaten, versuche kurz die kyrillischen Buchstaben zu entziffern - und scheitere. Ich fühle mich wie eine Analphabetin. Was könnte Kaffee heißen? Und wieso hat dieser blöde Automat so furchtbar viele Knöpfe? Solch einfache Fragen haben mich in der ersten Woche meines Freiwilligen Sozialen Jahres in Bulgarien beschäftigt. Also, einfach drücken, es wird schon trinkbar sein.

Die bulgarische Sprache gehört zur slawischen Sprachfamilie, aus der sich auch das Russische ableitet. Somit war mein erstes Ziel, kyrillisch lesen zu können. Dann wird es schon mal etwas leichter, zu erahnen was überall geschrieben steht. Aber das Tolle an dem Nicht-Lesen-Können ist, dass man Werbung, Gespräche oder Fernsehen ganz anders wahrnimmt und viel mehr auf die Details achtet, die einem normalerweise nicht mehr auffallen. Tragik in Daily Soaps wird zum Beispiel nicht nur durch den Text, sondern vor allem durch die Hintergrundmusik deutlich.

Ende August bin ich nach dem Vorbereitungsseminar in mein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) mit der Organisation "kulturweit" gestartet. Genaue Vorstellungen über mein „neues“ Leben hatte ich nicht. Sich nicht vorher verrückt machen, nicht zu viel planen, dem Zufall eine Chance geben, meint Meike Winnemuth in ihrem Buch „Das Große Los“. Und mit diesem Motto bin ich in einen der jüngsten EU-Mitgliedsstaaten geflogen. In der Hauptstadt Sofia gelandet, ging es weiter nach Haskovo, meinem Zuhause für ein Jahr. Haskovo hat etwa 80 000 Einwohner und liegt im Süden Bulgariens in der Nähe der Rhodopen. Insgesamt hat das Land etwa 7,3 Millionen Einwohner.

Wenn die Schulstunde vorbei ist, bleiben alle sitzen

Zu Beginn hatte einen leichten Kulturschock, alleine zu wohnen, nicht mehr die Familie und Freunde um sich zu haben. Eine Woche nach meiner Ankunft begannen die Vorbereitungen im Fremdsprachengymnasium, in dem ich das kommende Jahr im Deutschunterricht assistieren werde. Schon komisch, jetzt auf der anderen Seite zu stehen. Ich merke ziemlich schnell, dass es sehr schwierig ist, spannenden und unterhaltsamen Unterricht zu gestalten. Eine Tatsache, über die ich als Schülerin nie nachgedacht habe. Die erste Lektion ist Gelassenheit. In Bezug auf Schule, aber auch im restlichen Leben. Die Unterrichtsstunde beginnt immer erst etwa fünf Minuten nach dem Klingeln, da man erst mit dem Klingeln das Lehrerzimmer verlässt. Dafür springt aber auch niemand sofort auf, wenn die Stunde zu Ende ist.

Eine manchmal etwas verwirrende Besonderheit Bulgariens ist, dass die Kopfbewegungen für Ja und Nein genau anders her um verwendet werden. Dadurch heißt ein Kopfschütteln "Ja" und ein Nicken "Nein". Eine Kleinigkeit, die bei meinem bisher extrem kleinen Wortschatz zu witzigen Missverständnissen führt. Wenn die Schüler Deutsch reden, bin ich mir nie so ganz sicher, ob sie das deutsche oder bulgarische Kopfschütteln meinen.

In Bulgarien ist man sehr stolz auf die eigene Volksmusik, insbesondere auf das Lied "Izlel e Delju Haydutin" von Walja Balkanska, welches mit der Voyager 1 und 2 ins Weltall geschickt wurde. Jugendliche hören hier extrem viel Chalka. Diese zum Popfolk gehörende Musik wird von genauso vielen geliebt, wie auch verachtet. Eine weitere Besonderheit Bulgariens ist das Rosenöl, welches in Zentral-Bulgarien angebaut wird und ein echter Exportschlager ist. Bisher kenne ich den extremen Geruch nur aus den Touristenshops, aber vielleicht schaffe ich es ja, eine der Destillieren zu besuchen. Ich hoffe sehr, viel von Bulgarien und den Nachbarländern zu sehen, dafür sollte ich aber erstmal die kyrillische Schrift lernen.

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