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Michaela DePrince bei einer Aufführung in Südafrika.

© dpa

Buchpremiere "Ich kam mit dem Wüstenwind": "In meiner Seele klingt noch afrikanische Musik"

Michaela DePrince wurde 1995 während des Bürgerkriegs in Sierra Leone geboren. Heute ist sie eine erfolgreiche Ballerina und hat eine Biografie geschrieben. Wir haben uns mit ihr über Heimweh, Angst und Glück unterhalten.

„Meine schwangere Lehrerin lag auf dem Boden. „Junge oder Mädchen?“ brüllte der großgewachsene Anführer der Debils. Die Debils, die ihn umringten hielten bündelweise Geldscheine in die Höhe. Dann hob der Anführer sein langes, gebogenes Messer über den Kopf. Er schlitzte ihren Bauch auf. Überall spritze Blut auf, bis ich von Kopf bis Fuß damit bedeckt war. Der Debil griff in den Bauch meiner Lehrerin und zog das ungeborene Baby heraus. Er schaute es an und brüllte: „Mädchen“. Ein paar seiner Männer stöhnten. Sie hatten gewettet, dass es ein Junge sein würde und ihr ganzes Geld verloren.“

Eine Szene, die sich Mitte der 90er Jahre im Bürgerkrieg Sierra-Leones ereignet hat, aufgeschrieben von einem Mädchen, dass diese grausige Zeit hautnah miterleben musste. Mabinty Bangura wurde 1995 im Kenema Distrikt geboren. In einer Zeit, in der plündernde Jugendbanden durch die Dörfer zogen und nichts als verbrannte Erde hinterließen. Auch ihre Eltern starben bei Angriffen der „Debils“, wie diese Banden genannt wurden. Das kleine Mädchen wird in die Obhut ihres Onkels

Abdullah gegeben, der sie an ein Waisenhaus verkauft. Eines Tages wird dieses Waisenhaus von einer Gruppe Amerikaner besucht, die auf der Suche nach Adoptivkindern sind. Hier trifft Mabinty Bangura auf Elaine DePrince, eine wohlhabende Frau aus den USA. Sie nimmt nicht nur die kleine Mabinty, sondern auch deren Freundin aus dem Waisenhaus auf.

Der Traum wird wahr

Das Blatt wendet sich. Wenige Wochen später ist aus Mabinty Bangura Michaela DePrince geworden, aus ihrer afrikanischen Freundin ihre Schwester. Sie wohnt in einem Loft im Herzen New Yorks, nimmt im Kindesalter die ersten Ballettstunden. Und sie hat einen Traum: Einmal will sie die Odile im Schwanensee von Tschaikowski tanzen. In ihrer Autobiografie „Ich kam mit dem Wüstenwind“ erzählt die nun 18-jährige Michaela DePrince die zauberhafte Geschichte ihres Lebens. Mit einem Blick auf das Buchcover ist der Ausgang dieser Geschichte zwar von Anfang an klar, trotzdem sind diese 271 Seiten vom Bürgerkrieg in Sierra Leone über die ersten tapsigen Ballettschritten bis zur Profi-Ballerina am Ted-Shawn-Theatre einfach beeindruckend. Michaelas Geschichte beweist uns, dass auch die aussichtslosesten Situationen ein gutes Ende haben können.

"Was ist denn wertvoller als die eigenen Kinder?" Das Interview mit Michaela DePrince

Michaela DePrince bei einer Aufführung in Südafrika.
Michaela DePrince bei einer Aufführung in Südafrika.

© dpa

Alles, was du über dein Leben in Amerika erzählst, klingt so perfekt. Gab es nicht Momente, in denen du Heimweh hattest?
„Kinder sind sehr anpassungsfähig. Ich war auch nicht so introvertiert und selbstbeobachtend, wie es vielleicht ältere Leute gewesen wären. Ich war außerdem von dem Moment ergriffen. Plötzlich musste ich nicht mehr hungern, sondern es gab immer etwas, wenn ich etwas essen wollte. Ich wurde nicht mehr von Mücken gestochen, hatte keine Angst mehr vor Malaria. Das Leben in Amerika war tatsächlich perfekt für mich. Ich bin gesund und gut behütet aufgewachsen. Überleg mal, ich habe ein Jahr lang in einem Waisenhaus gelebt, da hat man Heimweh, aber doch nicht in solch einer liebenswürdigen, amerikanischen Familie.
Bist du je nach Sierra-Leone zurückgefahren?
Bis jetzt wollte ich nie zurück gehen, aber ich werde dort hin reisen, wenn ich älter bin und genug Geld habe, eine Kunstschule aufzubauen. Nachdem ich so ein Glück hatte, möchte ich helfen, auch die Träume anderer Kinder wahr werden zu lassen.

Unterhältst du dich mit deiner Schwester noch auf Krio so wie in Sierra Leone?

Jetzt sprechen wir nur noch Englisch miteinander. Als wir kleiner waren, haben wir manchmal Krio gesprochen, aber eines Tages hörten wir einen Mann in einem Geschäft in Krio brüllen. Er hat uns so an einen Debil (RUF Rebell) erinnert, dass wir seitdem vor Angst kein Wort mehr in dieser Sprache gewechselt haben.

Fühlst du dich manchmal komisch, wo so viele Kinder in Sierra-Leone hungern und Angst haben – du dagegen soviel Glück hattest?
Ja, ich fühle mich oft schuldig, dass ich solch ein Glück hatte, dass ich vor einem Leben in Hunger, Angst, Krankheit und Armut gerettet wurde. Gerade jetzt während der Ebola Epidemie fühle ich mich miserabel.
Gibt es noch einen Gegenstand den du aus Sierra-Leone behalten hast?
Ich habe nichts nach Amerika mitgenommen. Es gab ein Coverfoto von einem Magazin mit einer Ballerina, das mich auch animiert hat, diesen Weg einzuschlagen. Leider ist meine Kleidung, die ich am Tag der Abreise trug und dieses Magazin auf einem Flughafen in Ghana verloren gegangen, oder wurde gestohlen.
Was glaubst du, warum gibt es so viel Krieg in Afrika? Wie könnte es möglich sein, die Probleme zu lösen?
Es gibt viele Gründe, warum der afrikanische Kontinent so arm ist. Aber ich glaube, dass die schlechte Bildung der Hauptgrund ist. Alle Kinder, Jungen und Mädchen, müssen Schulbildung erhalten. Die Afrikaner müssen selbst lernen ihren Weg aus der Armut zu finden. Sie müssen ein eigenes wirtschaftliches System aufbauen und das kann Afrika nicht ohne gut ausgebildete Afrikaner bewerkstelligen.
Kannst du ein Beispiel geben?
Dass Sierra Leones Diamanten zum Beispiel für bessere Schulen ausgegeben werden, denn was ist wertvoller als die eigenen Kinder?
Eine klassische Frage zum Schluss: Fühlst du dich eher afrikanisch oder eher amerikanisch?
Beides. Wenn du die Gewohnheiten und Traditionen meinst, dann auf jeden Fall amerikanisch, hier habe ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht. Ich bin zum Beispiel begeistert von Weihnachten und Thanksgiving. Aber tief in meiner Seele klingt noch afrikansche Musik.

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Simon Grothe

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