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Laut der WHO leiden fast 20% der Weltbevölkerung an Depressionen.

© picture alliance / dpa

Depression auf der Bühne: Schatten deiner selbst

Über die Leidenserfahrung während einer depressiven Episode schrieb die junge Autorin Kathrin Weißling einen Roman. „Drüberleben“ wurde nun als Theaterstück inszeniert.

„Pommes rot-weiß, Nachts um drei. Der erste Orgasmus. Das erste Mixtape. Alkohol. Eine neue verheißungsvolle Nummer einspeichern. Sagen, dass man sich liebt, hoffen, dass es stimmt.“ Eine Frau liegt auf einer Matratze. Durch ein kleines Fester fällt warmes Licht. Sie erinnert sich an Momente, die einen das chaotische Drumherum des eigenen Lebens kurz vergessen lassen und die zurzeit für sie unerreichbar scheinen. Zu lange ist es her, dass ihr etwas einfach vorkam. Dass sie eingekauft, gearbeitet, studiert und geküsst hat.

„Drüberleben“ erzählt die Geschichte der 24-jährigen Frau, bei der eine schwere depressive Episode diagnostiziert wird. Auf einmal bleibt ihr Leben einfach stehen: „Unmerklich wirst du Woche für Woche ein bisschen mehr zu Zement, ein bisschen mehr wie Beton, ein bisschen mehr zu dem Schatten hinter dir.“ 

Leidensgeschichte in einer Webcam

Schon lange liegt Ida nur auf ihrem Bett zwischen leeren Weinflaschen und Biographien von Selbstmördern. Es hat auch lange gebraucht, bis ihr klar wurde, dass ihr Zustand kein normales Leben mehr zulässt. Sie fasst den Entschluss, sich selbst in eine psychiatrische Klinik einzuweisen –  nicht zum ersten Mal.

Der einzige Kompagnon, den die Schauspielerin Lisa-Marie Becker auf der Bühne hat, ist das MacBook, das auf dem Schreibtisch steht. Es ist mit einem Beamer verbunden, der das Bild der Webcam auf eine Leinwand projiziert. Die tragbare Webcam hält sie in der Hand oder stellt sie in unterschiedlichen Perspektiven vor ihr Gesicht, je nach dem, wen sie darstellt: den enthusiastischen Gruppentherapiebetreuer, eine einschüchternde Pflegerin oder einen anderen Patienten. Das Publikum liegt ihr besonders in diesen meist sehr witzigen Szenen zu Füßen.

Die Darstellung des Klinikalltages hat einen leicht kritischen Unterton. Auswendig gelernte Phrasen sollen Idas Selbstwertgefühl aufbauen. Sie glaubt sich aber selber nicht, wenn sie solche Sätze emotionslos für die Therapeutin ausspricht. Es braucht bei dieser Inszenierung keine aufregenden Kostüme oder dramatischen Effekte, es geht um all die weisen Worte und intimen Situationen und die Gefühle, mit denen Ida alleine gelassen wird.

Erste Begegnung mit dem Alter Ego

Vorlage für das Theaterstück ist der gleichnamige Roman der jungen Autorin Kathrin Weißling, die sich wie die Figur Ida Schaumann wegen Depressionen selbst in eine psychiatrische Klinik eingewiesen hatte. An der Produktion des Stücks wollte sie sich bewusst nicht beteiligen, um keinen Druck auf die Beteiligten aufzubauen, sagt Weißling, die selbst zwei Jahre als Regisseurin an einem Hamburger Theater Erfahrungen gesammelt hat. Außerdem lasse sie sich gern überraschen: Die Premiere war auch ihr erste Begegnung mit ihrem früheren Alter Ego auf der Bühne.

Wenn Kathrin Weißling die Rolle der Ida mit ihrer Situation heute vergleicht, erkennt sie nur noch wenige ihrer Eigenschaften wieder wie beispielsweise das Gefühl, mit anderen Menschen nicht mehr richtig im Kontakt zu stehen. Auch in Zeiten, als die heute Dreißigjährige komplett am Durchdrehen war, hat sie sich stets gezwungen, ihre Tagesstruktur einzuhalten. Sie ist einer bestimmten Zeit aufgestanden, aß dreimal täglich und hat alles darangesetzt, um noch eine soziale Struktur aufrecht zu erhalten, und wenn es nur noch einen einzigen Menschen zum Reden gab. „Denn der Moment, in dem man erstmals komplett alleine ist, ist auch der Moment, in dem sich alle Türen nach unten öffnen“, sagt Kathrin.

Ihr Buch nimmt auch ernsten Situationen den hohen Grad an Bedeutungsschwere ab, ohne zu verharmlosen. Einige Leser erwarteten bei dem Untertitel „Depressionen sind doch kein Grund traurig zu sein“ eine humorige Auseinandersetzung mit dem Thema. Doch Depressionen sind nicht lustig.

2010 begann Kathrin einen Blog, in dem sie die eigenen Depressionen in Momentaufnahmen notierte. Mittlerweile hat der Blog einen anderen Namen und beschäftigt sich auch mit anderen Themen – die Depression ist nicht mehr das alles Bestimmende in ihren Leben.

Ein erkenntnisreicher und emotionaler Ausflug

Das Theaterstück endet mit einer Pointe, die wie eine Erklärung oder gar Rechtfertigung für Idas Krankheit wirkt. Vielleicht soll sie auch einfach ein dramatisches Finale bieten, nach welchem es dann aber sehr plötzlich zu Ende ist. So wird die Inszenierung nach zwei starken Dritteln zum Ende hin deutlich schwächer. Trotzdem bleibt man zutiefst berührt und beeindruckt von der Darstellung der Ida zurück. Ihre Worte lassen den Zuschauer ahnen, wie sich diese scheinbar undurchdringbare Leere und Dunkelheit anfühlt. Wie es ist, so hilflos herumzurudern.

Drüberleben“ wird noch am 20., 21. und 22. Oktober sowie im November auf der Vaganten Bühne am Zoologischen Garten zu sehen sein.

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Carla Hegnon, Judith Rinklebe

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