zum Hauptinhalt

Eine Woche ohne Technik: Die Entdeckung der Langeweile

Eine Woche ohne Smartphone. Ohne Fernseher, Radio und Stereoanlage. Geht das? Unsere Autorin hat es ausprobiert. Und sich ganz schön gelangweilt.

Ich sitze in einem Café und warte auf eine Freundin. Keine Ahnung, ob sie kommt. Wir hatten uns vor ein paar Tagen verabredet und vorher nicht noch mal geschrieben, denn ich habe beschlossen, eine Woche lang auf Technik zu verzichten. Also unter anderem auch auf mein Handy. Direkt auf dem Hinweg habe ich gemerkt, wie meine Routine unterbrochen wurde: Einsteigen in den Bus, durch die Menge drängeln, Hinsetzten, dann…fehlte etwas. Ich suchte verzweifelt nach meinem Handy, bis mir einfiel, dass ich es gar nicht mitgenommen hatte.

Ich langweile mich zum ersten mal seit langem

Nun sitze ich also in dem Café und warte. Ohne Beschäftigung und ohne zu wissen, ob und wann meine Freundin kommt. Ich fange an, die anderen Besucher zu beobachten. Zwei Mädchen, etwa 14 Jahre alt, beugen sich über ihre Handys und schreiben mit ihren Whatsapp-Kontakten. Ab und zu geben sie Kommentare ab, wie zum Beispiel „Shuu, der antwortet nicht, obwohl ers gesehen hat“ oder „Nimm mal anderes Profilbild, das ist ja von gestern“. Nach zehn Minuten wird mir die ganze Situation unangenehm. Ich bin es gar nicht mehr gewöhnt Langeweile zu haben.

„Ich hab dir doch geschrieben“

Ein Mann kommt auf mich zu und fragt, ob ich mich nicht woanders hinsetzen könnte, da ich ja alleine bin. Ich sage ihm, dass ich noch auf jemanden warte. Er schaut mich mitfühlend an, und meint, ich solle nicht traurig sein, er würde bestimmt noch kommen. Das wurde mir zu viel. Als ich gehen will, kommt mir aber meine Freundin auf dem Weg zur Tür entgegen. Ich fahre sie sauer an: eine halbe Stunde lang habe ich auf sie gewartet. Und hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt noch kommen würde. Sie entschuldigt sich und sagt: „Ich hab dir doch geschrieben“.

Sich festlegen ist ganz schön stressig

Inzwischen ist es völlig in Ordnung, viel zu spät zu kommen oder jemanden zu versetzten, da man ja ständig noch kurz schreiben kann. Allein das Gefühl, dass man denkt, die Verabredung platzt, nur weil man vorher nicht noch mal geschrieben hat, ist befremdlich. Auf der anderen Seite: Macht man sich nicht viel mehr Stress, wenn man die Woche mit festen Terminen durchplant?

Auf Musik kann ich einfach nicht verzichten

Durch Internet und Smartphones sind wir unabhängiger, freier und spontaner geworden. Es ist ungünstig Termine über einen längeren Zeitraum zu planen. Mein Wochenende war aus diesem Grund auch nicht so spektakulär wie sonst, sondern ziemlich eintönig. Um dem aus dem Weg zu gehen, habe ich lautstark Klavier gespielt und die Nerven meiner Nachbarn mit meinen Gesangskünsten strapazieren. Entspannt hat mich das aber nicht, denn es geht doch nichts über meine Anlage. Kurz und schmerzlos habe ich sie auch direkt am ersten Abend benutzt. Ohne Musik wäre die Woche kaum auszuhalten!

Viel Zeit zum Nachdenken

Trotzdem war es schön. Ich habe viel gelesen und mich mit chinesischer Geschichte auseinandergesetzt, als der Rest meiner Familie vor dem Fernseher saß. Ich habe das Gefühl, dass ich besser mit meiner Situation klar kam, als mein Umfeld. Ich war ruhiger, nicht so hektisch, wahrscheinlich, weil ich nicht dauerhaft erreichbar war. Ich hatte Termine, die ich fest abgesprochen hatte und viel freie Zeit. Zeit zum Nachdenken, Zeit zum kreativ sein, Zeit zum Langweilen. All das geht normalerweise unter, weil ich fast in jeder freien Minute mit meinem Handy beschäftigt bin.

Ja, ich habe mein Smartphone vermisst

Ja, ich habe mein Smartphone vermisst. Ich musste für jede integrierte Funktion eine Alternative finden, für die Uhr, für die Erinnerungen. Ich habe in dieser Woche oft wichtige Termine vergessen, obwohl überall Merkzettel zur Erinnerung hingen. Ein paar Mitschüler beschwerten sich, dass ich nicht geschrieben habe, was wir für Hausaufgaben auf hatten. Ich habe allerdings auch gemerkt, dass man die zahlreichen Funktionen nicht in jeder freien Minute auskosten muss.

Endlich wieder angebunden

Es ist schön, sich Zeit zu nehmen. Zeit für etwas besonderes, was weder spontan noch austauschbar sein muss. Ganz darauf verzichten möchte ich aber nicht. Ich bin gerne bequem, unkompliziert und flexibel. Und das kann ich dank meines Smartphones auch sein. Deshalb bin ich froh, dass ich es wieder habe. Es optimiert aber nicht nur meinen Komfort, sondern hält auch noch den Kontakt in den Rest der Welt. Danke, liebes Handy, du hast mir gefehlt!

Gefällt dir? Das ist ein Beitrag unserer Jugendredaktion "Schreiberling". Werdet unsere Freunde auf www.facebook.de/Schreiberlingberlin oder folgt uns auf www.twitter.com/schreiberling_.

Carla Hegnon

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false