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Selbst bestimmt. Helene von Schirach, Nina Grabowski, Coco Adlibut, Luisa Mielenz, Judith Rinklebe und Marthe Meinhold (v.l.n.r.) wollen zu bestimmten Themen nicht von Erwachsenen belehrt werden.

© promo

Feministischer Kalender: Mein Körper gehört mir. Ist das klar?

Mädchenmagazine machen jungen Frauen klar, wofür sie sich interessieren sollen: Jungs und Schminke. Darüber ärgern sich sechs Schülerinnen – und entwerfen einen feministischen Kalender.

Die Jugend von heute hat keinen politischen Standpunkt mehr! Alle verblöden mithilfe ach so sozialer Medien und sind völlig orientierungslos. So redet man ja immer, wenn von „diesen Jugendlichen“ gesprochen wird. Nur weil die Mitgliederzahlen politischer Parteien sinken und 18-Jährige auf der Straße keine Flugblätter verteilen, heißt das aber noch lange nicht, dass es kein soziales Engagement mehr gibt! Judith Rinklebe redet sich richtig in Rage, lässt ihren Frust ab. Denn auf sie trifft das sicher nicht zu. Die 18-Jährige aus Prenzlauer Berg hat gerade mit ihren Freundinnen einen feministischen Jahreskalender herausgebracht.

„Schlampe, Hure, Fotze. Das sind alles Schimpfwörter, die es nicht für das männliche Geschlecht gibt und bei denen die Frau auf ihre Sexualität reduziert wird“, sagt Rinklebe. In der Schule würden Themen wie Feminismus und Selbstbestimmung nur angeschnitten. „Das ist uncool“, sagt ihre Freundin Coco Adlibut. Auch in Mädchenzeitschriften werde ihnen vorgeschrieben, wofür sie sich interessieren sollten: Jungs und Schminke. Darauf haben die Freundinnen keine Lust. „Wir wollen die gesellschaftlichen Rollen aufbrechen“, sagt Coco Adlibut.

Darum der Kalender. „Wann hast du zuletzt wirklich etwas riskiert?“, steht auf einer Seite neben Collagen, Zeichnungen und Essays. Texte von Gleichaltrigen sind eben nicht so altbacken wie mancher Schulunterricht. Die Essays beinhalten Gedanken über den Tod, sexuelle Selbstbestimmung oder die digitale Revolution. „Ich glaube, die Jugendlichen nehmen diese Gedanken eher auf, wenn sie auch von Jugendlichen verfasst wurden“, sagt Coco Adlibut. Ein Kalender für die Schule, ohne belehrend zu sein.

Kalender, die von Erwachsenen gestaltet werden, wirken hilflos

Hinzu kommen Porträts von Chimamanda Ngozi Adichi, einer feministischen, nigerianischen Autorin, oder Olympe de Gouges, die während der Französischen Revolution die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ verfasste. „Vorbilder“, sagt Coco Adlibut. „Wir wollten nicht nur weiße Mittelklassefeministinnen darstellen.“

Der Mädchenjahreskalender kostet in verschiedenen Berliner Buchhandlungen ungefähr acht Euro.
Der Mädchenjahreskalender kostet in verschiedenen Berliner Buchhandlungen ungefähr acht Euro.

© promo

Überhaupt, Schulkalender: „Entweder sind sie liebevoll gestaltet, oder sie haben einen anspruchsvoll gezwungenen Inhalt“, sagt Judith Rinklebe. Außerdem erkenne man bei den meisten aufklärerischen Schülerplanern, dass sie von Erwachsenen entwickelt wurden. Das wirke oft ziemlich hilflos.

Also starteten die jungen Frauen ihr eigenes Ding. Mal eben einen Kalender designen, ein paar Lektoren und Layouter engagieren, verlegen – wie man das halt so macht. „Nein, Quatsch, wir hatten natürlich nicht die finanziellen Möglichkeiten und auch absolut keinen Plan“, sagt Judith Rinklebe und lacht. Denn erst wollten sie jede Seite einzeln entwerfen und einscannen. So lief das natürlich nicht.

Gemeinsam mit ihren Freundinnen Helene von Schirach, Nina Grabowski, Luisa Mielenz und Marthe Meinhold bewarben sich Coco Adlibut und Judith Rinklebe beim Projekt „Stark gemacht – Jugend nimmt Einfluss“. Von hundert Projekten wurden 15 unterstützt – mit maximal 15 000 Euro –, der Mädchenjahreskalender war eines davon.

Jugendliche sollen sich offen positionieren dürfen

Nach viel Arbeit, Chaos und kleinen Streitereien ging der erste Kalender mit 600 Exemplaren in den Druck. Innerhalb von drei Wochen war er ausverkauft. Als die Mädchen dann im Mai 2014 mit der Goldenen Göre, dem höchstdotierten Preis für Kinder- und Jugendbeteiligung in Deutschland, ausgezeichnet wurden, war die Überraschung groß – genau wie der Scheck über 5000 Euro, den sie in den Händen hielten. Sie konnten also eine weitere Ausgabe gestalten: Der Mädchenjahreskalender 2015 ist nun in Berliner Buchhandlungen erhältlich.

Nebenbei betreiben die jungen Frauen auch noch einen Blog, auf dem sie über ihre Arbeit schreiben und feministische Texte posten.

Wer sich den Jahresplaner kauft, wird danach weder das dringende Bedürfnis verspüren, der CDU noch der SPD beizutreten. Die Mädchen vermitteln keine politische Weltsicht – und zwar explizit. „Wir wollen uns einfach für ein wichtiges Thema engagieren“, sagen sie. „Wir wollen der Jugend zeigen, dass man sich ruhig für etwas offen positionieren kann, ja sogar sollte.“ Die Meinung solle sich aber jeder selbst bilden.

Auf den letzten Seiten haben Judith Rinklebe und ihre Freundinnen einen „Do It Yourself Guide“ verfasst. Darin erklären sie zum Beispiel, wie man einen Fahrradreifen wechselt, wie man mit Fingern pfeift und geben Tipps zur Selbstverteidigung.

Eins wird relativ schnell klar: Dieser Kalender, auch wenn er den Namen „Mädchenjahreskalender“ trägt und die Schrift weitgehend rosa ist, richtet sich nicht an alle Lillifee-Barbie-Girlies. Welch ein Glück!

Den Mädchenjahreskalender gibt es in vielen Buchhandlungen in Schöneberg, Friedrichshain und Kreuzberg für 8 Euro, online für 5 Euro. Den Blog findet Ihr auf www.maedchenjahreskalender.tumblr.com

Dies war ein Beitrag unseres neuen Jugendmagazins "Schreiberling". Werdet unsere Freunde auf www.facebook.de/Schreiberlingberlin oder folgt uns auf www.twitter.com/schreiberling_. Fanpost und Kritik an schreiberling@tagesspiegel.de

Antonia Bretschkow

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