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Der Komponist Gerhard Winkler und der Klarinettist Jörg Widmann bei Proben.

© Benjamin Gommert

Festival für Neue Musik: Schräge Töne reichen nicht

Die UltraschallReporter des Festivals für Neue Musik sprachen mit dem Komponisten Jörg Widmann über pervers schwere Stücke und den Elefantenschrei.

Der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann gab beim Festival für neue Musik Ultraschall Berlin als einziger ein komplettes Solo-Konzert. Erschöpft, aber glücklich und zufrieden umarmen sich der Interpret und der Komponist Gerhard Winkler nach der aufwändigen Probe von Black Mirrors III. Bei diesem Stück für Klarinette und interaktive Live-Elektronik müssen zahlreiche fein differenzierte, technische Einstellungen angepasst werden. Nachdem Widmann noch kurz eines seiner eigenen Werke angespielt hat, sind die viereinhalb Stunden Probe vorbei. In einem Seitenraum der Kirche nimmt sich der Künstler mit den aufmerksamen blauen Augen Zeit für unser Interview.

Sie haben schon als Sechsjähriger mit dem Komponieren begonnen, wie hat das alles für Sie angefangen?

Ich habe damals Klarinette gelernt und schon immer zu Hause improvisiert. Und am nächsten Tag habe ich mich geärgert, dass ich mich an die schönen Stellen, die mir zuvor eingefallen war, nicht mehr erinnern konnte. So kam es, dass ich das Aufschreiben wollte, und so habe ich dann meinen ersten, na ja, „Kompositionsunterricht“ klingt so hochtrabend, bekommen habe. Ich habe einfach in Noten aufgeschrieben, was ich eben improvisiert hatte. Damals dachte ich auch, dass Komponieren bedeute, das Improvisierte aufzuschreiben. Dass es viel mehr bedeutet, habe ich erst viel später schmerzhaft, aber auch lustvoll erfahren.

Was waren das dann für Sachen? Was haben Sie da improvisiert?

Eine meiner ersten Komposition war „Walzer in F-Dur“, ganz einfache, auch tonale Sachen, also, da waren noch keine schrägen Töne dabei. Irgendwann war mir das aber nicht mehr genug. Da hat sich der Klang verändert. Etwas, woran ich gerade bei der Probe wieder gedacht habe ist, dass sehr vieles bei mir aus dem Ausprobieren entsteht. Mein eigenes Stück mit den Klappengeräuschen, das ist etwas, wo man als purer Schreibtischtäter nicht drauf kommen würde. Auch Luftgeräusche, das kommt alles aus dem Experimentieren heraus.

Gerade so etwas habe ich noch nie gehört. Aber woher kommt denn das? Ist es, weil man die Sachen, die man schon kennt, langweilig findet? Und einfach was Neues ausprobieren will?

Also, ich bin jemand, der die große Musik, die es schon gibt, auch aus den vergangenen Jahrhunderten, wahnsinnig schätzt. Und gerade weil ich es so sehr liebe, müssen wir weiter gehen. Nur etwas kopieren könnte ich nie so gut wie das, was schon geschrieben ist. Dazu kommt ein kindlicher Drang; wenn ich als Musiker hinter der Bühne stehe, das Konzert gleich los geht und ein Hornist ein Quietschgeräusch auf seinem Horn macht, dann sage ich: „Stopp! Wie machst Du das genau?“ Ganz viele Sachen, die ich in meinen eigenen Kompositionen aufschreibe, kommen aus diesem kindlichen Staunen.

Auch diese Sachen, die ich in meinem Solo-Rezital spiele, sind pervers schwer und artistisch, teilweise. Und manche Sachen, wie die Klappen- oder Luftgeräusche, die gehören dazu. Es ist ein Blasinstrument, warum die immer unterdrücken und nicht zur Musik hinzufügen? Manchmal übe ich ohne Luft, und das interessiert mich, weil dann plötzlich die Klarinette zu einem Schlagzeug wird, ein ganz neues Instrument.

Interessiert Sie deshalb auch die Klarinette so sehr?

Ich finde, sie ist besonders wandlungsfähig. (gähnt) Oh, Entschuldigung. Ich habe jetzt fast viereinhalb Stunden geprobt, das ist so wahnsinnig anstrengend. Und bei mir ist es so, dass ich dann immer sofort körperlich müde werde. Also, die Wandlungsfähigkeit Auch in der Klassischen Musik, der Tonumfang ist einzigartig. Einerseits kann ich eine hohe Sopranistin sein und andererseits ein tiefer Bariton. Das ist anders als bei anderen Blasinstrumenten. Die tiefe Lage der Flöte liebe ich wahnsinnig, aber die ist sehr leise. Bei der Oboe ist es umgekehrt. Bei der Klarinette ist alles möglich. Obwohl auch schwierig. Bei dem Stück, das Wolfgang Rihm für mich geschrieben hat, zum Beispiel, soll der Anfangston quasi aus dem Nichts kommen. Und das in einer Höhe, die selbst im Fortissimo kaum zu kriegen ist. Jetzt könnte ich zum Komponisten hingehen sagen: „Mensch, das ist unmöglich“, aber ich bin jemand, den genau so etwas reizt! Da muss ich experimentieren und komme auch nicht weiter mit den Griffen, die ich gelernt habe. Aber ich lerne mein Instrument neu kennen. Ich nehme vielleicht ein paar Klappen dazu, die sonst nicht benutzt werden. Und dann kommt der Ton vielleicht trotzdem nicht. Aber – no risk, no fun. (lacht)

Ich hab solche Musik ja noch nie gehört, auch bei den anderen Musikern hier beim Festival, manchmal haben die Töne gespielt, die total gescheppert haben oder so.

Ja genau! Wenn man zum Beispiel zum ersten Mal in eine Trompete bläst, dann kommen auch solche Töne. Das heißt also: Das liegt in der Natur des Instrumentes! Auch diese Scheppertöne, das Überblasen. Das sind so genannte „multiphonics“, Mehrfachklänge. Da spiele ich den tiefen Ton und es kommen die Obertöne dazu, die ja sowieso mitschwingen, aber ich forciere sie, ich will sie herausholen. Das klingt teilweise wie ein Elefantenschrei.

Das steht auch im Programmbuch…

Genau! Bei diesem Danse Africaine möchte ich, dass das ganz naturalistisch klingt. Da gibt es auch ganz feine Klänge, wo man plötzlich zwei Töne hört und sich fragt, wo die zweite Klarinette ist. (lacht)

Ist das auch Ihr Ziel, Töne aus Ihrer Klarinette herauszukriegen, die nicht unbedingt schön sind, aber die man noch nie vernommen hat?

Das finde ich was ganz Wichtiges. Schon Richard Wagner hat gesagt: „Kinder, schafft Neues“. Also, nicht nachmachen, was andere schon entdeckt haben. Und dann gibt es jemanden, der wirklich die Musik revolutioniert hat, das ist Arnold Schönberg. Dem war es wichtig, das im Wortsinne zu verstehen, Um-Sicht. Also, ich muss die andere Seite sehr genau kennen, um so zu sagen diese Umwälzung machen zu können. Und beide Pole sind mir wichtig. Alles, was ich heute mache, klingt zwar teilweise total neu, ist aber nicht im luftleeren Raum. Es baut darauf auf, was es schon gibt. Ich habe mich inspirieren lassen von den verschiedensten Stilrichtungen. Man ist immer auf der Suche, und WENN man dann mal was wirklich Neues findet, dann freut man sich.

Wenn man technisch alles ausreizen will, verliert man dann nicht den Inhalt aus den Augen?

Das, finde ich, ist eine Gefahr, ja. Umgekehrt ist es aber genauso, wenn ich mich ausruhe auf dem, was ich schon gemacht habe oder was es in der Geschichte schon gegeben hat, dann wird es Epigonal. Beides ist eine Riesengefahr, für jeden Komponisten und für jeden Künstler. Und das ist auch nie etwas, wo man sich zu sicher sein darf. Man denkt das manchmal, nach einem Konzert: „Ja, jetzt war ich nahe dran!“ Und dann hört man die Aufnahme zwei Jahre später und ist total enttäuscht. Oder man ist bei einem Stück und denkt: „Ja, das ist es genau, was ich machen will.“ Bei mir meldet sich schon nach ein paar Tagen wieder das schlechte Gewissen und ich bin schon wieder unzufrieden. Ich wäre wirklich gern mal ein paar Tage sehr zufrieden, aber die Natur hat es zumindest bei mir so eingerichtet, dass ich wahnsinnig unruhig und unglücklich werde. Theaterleute, kennen das auch, die wochenlang auf eine Premiere hinfiebern. Und dann ist es vorbei, und man fällt in ein Loch. Und man merkt, es nagt an einem, dieser Mechanismus innen drin geht wieder los. Und das ist etwas sehr Furchtbares, aber auch etwas total Schönes.

Wie entstehen Ihre Stücke? Spielen Sie zu Hause und schreiben auf, was Sie cool fanden? Oder haben Sie das ganze Stück im Kopf, bevor sie es aufschreiben?

Das finde ich eine sehr gute Frage, und das war für mich auch mal ein richtiges Problem, weil ich irgendwann dachte, wenn ich als Komponist für Klarinette schreibe, ja nur das schreibe, was bequem liegt. Solche Stücke, die Ihr in der Probe gehört habt und die von mir sind, könnte man gar nicht schreiben, wenn man nicht selber spielen würde. Ich probiere viel aus, aber bei mir kommt immer das Misstrauen, ob ich etwas nicht aus Bequemlichkeit so schreibe. Eine Zeitlang kam dadurch eine richtige Krise für mich, für die Klarinette zu schreiben. Alle dachten immer, dass müsse gerade für mich besonders einfach sein. Die Fantasie für Klarinette, die ich heute auch spiele, ist vor 20 Jahren entstanden und dann dieses zweite Stück 2013. Die Schattentänze bestehen aus drei Teilen und ich hoffe, dass da die Idee im Vordergrund steht und nicht der Effekt. Einer davon klingt, als sei er unter Wasser gespielt. Diese Idee hatte ich und ich muss die Effekte finden, um das einzulösen, was ich da geschenkt bekommen habe als Idee.

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