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Mit altem Hut. Jugendblog-Autor Max Deibert (20).

© privat

Schein und Sein: Hipster sind wie treulose Groupies

Windige Träume, eine nackte Schönheit und ein Eisbergblogger: Fiktive Begegnung mit einem weiblichen Hipster. Ein Beitrag aus unserem Jugendblog "Der Schreiberling".

Ich habe mir schon oft vorgestellt, wie es wäre, als erfolgreicher Kolumnist von sexwilligen jungen Frauen begehrt zu werden, die mich für meinen überragenden Schreibstil und trendigen Style (nicht zu vergessen: meine außergewöhnliche Männlichkeit) schätzen. Oder wenigstens dafür, wie ich die oben genannten Attribute vortäusche. In meiner Fantasie liegt zweimal die Woche überraschend eine entblößte Verehrerin zwischen den Kissen meines Ausklappsofas. Anders als Musiker würde ich mir für jedes Groupie ganz individuell Zeit nehmen, mit ihnen über die Lieblingsfarbe, das Studium, Streit mit den Eltern reden. Danach natürlich Sex.

Denjenigen Lesern, die jetzt noch nicht „Brenn in der Hölle, du chauvinistisches Machoschwein“ auf einen Leserbrief gekrakelt haben, möchte ich an dieser Stelle erläutern, worum es mir geht. Hipster sind wie Groupies, nur dass ihre Treue zu einem Trend kurzlebiger ist. Nehmen wir an, es sei Donnerstagabend.

Ich habe meine neueste Kolumne cum Selbstlaude dem Chefredakteur überreicht, meinen Regenschirm und den Burberry-Trenchcoat von der Garderobe geangelt und bin nach Hause geeilt, den Hut mit Krempe etwas tiefer als sonst ins Gesicht gezogen. Ich freue mich auf meinen Feierabend, das ersehnte Glas Rotwein vorm Bücherregal.

Meine Wohnungstür ist nur angelehnt. Ich schleiche in den Flur, meinen Regenschirm wie ein Schwert erhoben. Knarzend öffnet sich die Tür zu meinem Schlafzimmer, im Rahmen steht eine nackte Schönheit. Ganz nackt? Nein, eine Spiegelreflexkamera baumelt keck zwischen ihren Brüsten. Sie trägt ausgelatschte Chucks, mit Panzertape ist ein Herz auf den linken Schuh geklebt, auf dem rechten steht in Edding „Revolution“. Ihr rechtes Bein sei das stärkere, vertraut sie mir bei einem Glas Bordeaux an. Sie raucht selbstgedrehte Zigaretten, Marke American Spirit. Was ihre Lieblingsfarbe sei? „Schwarz.“ Ich gebe zu bedenken, dass Schwarz lediglich die Kombination aller Farben sei. „Ich weiß, ich studiere Kunstgeschichte an der HU“, erwidert sie.

Die Kamera landet im Kamin

Mich interessiert besonders, was ihr an meinen Texten gefällt. „Gut geschrieben, voll viele von meinen Freunden lesen das. Du bist doch fürs Gendern, oder?“ Ich verneine und lege ihr nahe, dass sie vielleicht in die falsche Wohnung eingebrochen sei. „Nee nee, hab Fotos von dir auf Tumblr gereblogged. Du hast nen geilen Style.“ „Ich kleide mich wie mein verbeamteter Großvater früher!“ „Genau, voll cool, so fuck the rest.“ Unser Gespräch driftet in politische Sphären. Sie schwärmt vom Hass gegen die Außengrenzen der EU und von veganen Bauernhöfen. Dabei scrollt sie durch ihr Smartphone. Plötzlich stöhnt sie entnervt auf, reißt sich die Kamera vom schlanken Hals und schleudert sie in den Kamin.

„Was war das denn?“ „Digital ist out, Polaroid ist der letzte Schrei, kombiniert mit Normcore Streetwear. Nimm mal diese alberne Krawatte ab, du siehst aus wie der Steuerberater meiner Mutter.“ Sie zieht einen Notizblock aus ihrem Schuh und beginnt, sich beim Scrollen Notizen zu machen.

Weltsicht, Zukunftspläne, Lieblingsdesigner

„Ehm, sag mal …“, setze ich an. Sollte nicht sie um meine Aufmerksamkeit kämpfen anstatt umgekehrt? Sie beginnt hysterisch zu lachen: „Ich habe gerade diesen bisexuellen Undergroundblogger entdeckt, der schreibt über Klimaerwärmung aus der Sicht eines Eisbergs. Echt zum Brüllen! Wenn ich mit dem schlafe…“ Ich gehe im Kopf alle Themen durch, die mich sonst an Verehrerinnen interessieren: Weltsicht, Zukunftspläne, Lieblingsdesigner. Alle Fragen wirken in Gegenwart dieses aufgeregten Geschöpfes völlig irrelevant.

Leise knistert der Ledergurt ihrer Spiegelreflexkamera im Feuer. „Was ist für dich von Bedeutung?“, frage ich. „Man sollte nicht hinterherhinken, der Zeitgeist schläft nie, Süßer.“ Sie zwinkert mir zu. „Apropos, ich muss los, der Eisbergblogger wohnt nur zwei Straßen weiter.“ „Aber wir haben noch gar nicht ...“ „Gib mir mal eine alte Jeans, am besten mit Löchern, und ein Wollpulli mit grellen Farben wäre perfekt.“ Mit flatterndem Pullover fliegt sie aus meiner Tür, ich stehe noch immer sprachlos vor meinem Schrank. In diesem Moment wird mir klar, warum Fantasien mit Hipster-Groupies nicht funktionieren: Sie tauschen Überzeugungen und Vorlieben mit so hoher Frequenz aus, dass nichts als eine windige Person zurück bleibt. Windig, weil sie nicht glaubt, sondern akzeptiert, weil sie nicht schafft, sondern adaptiert, weil sie nie einen Schritt zurück geht und sich klarmacht, was sie da am Körper trägt.

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Max Deibert, 20

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