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Wir Spandau-Atzen. Aaron Röbig, Felix Wagner und Kevin Kozicki (von links) kennen sich aus der Schule in Spandau. Nun legt das Techno-Trio im Berghain auf.

© Edgar Fischnaller/promo

Techno-Trio FJAAK: Der Beat der Rieselfelder

Keine Lust auf schlechte Musik, ein bisschen Glück – und eine kleine Lüge: Wie aus Kevin Kozicki, Felix Wagner und Aaron Röbig aus Spandau das Techno-Trio Fjaak wurde.

"Überkrass bitter", sagt Kevin Kozicki, Jogginghose, blonde Locken, „aber die Story musst du dir reinziehen.“ Sie beginnt, als er – wie er es formuliert – unvorsichtig über die Fahrradständer am Theodor- Heuss-Platz läuft und am Ende mit dem Gesicht auf dem Metall landet. Ein Zahn ist draußen, ein anderer steckt im Zahnfleisch. Ein paar Wochen später postet er ein Foto bei Facebook und schreibt: "Should I buy a new tooth or a new drum machine?" Aber wen interessiert es, ob Kevin Kozicki sich einen neuen Zahn oder neues Equipment kauft? Wer will das wissen von einem Typen aus Gatow, der Wirtschaftsingenieurwesen studiert und mit Schulfreunden Musik macht? Seine Eltern? Die – und: das Berghain, Plattenfirmen, die Amerikaner.

Kevin Kozicki, Felix Wagner und Aaron Röbig sind das Techno-Trio Fjaak. Sie sehen so individuell aus, wie der Rest der Welt sich Berlin vorstellt. Und eine Berliner WG. Im Flur lehnen zwei Rennräder, bunte Strohhalme hängen von der Decke, an einer Wand klebt ein kaputtes Macbook. In fast jedem Raum ein Studio. Plattenspieler, Boxen und Drum Machines überall in diesem Altbau an der Grenze von Friedrichshain zu Prenzlauer Berg, kurz bevor es spießig wird.

Kevin sitzt auf dem Sofa und spielt GTA. Gerade ist er aus London zurück, am nächsten Tag startet die USA-Tour. Es ist etwas wolkig im Raum. Es duftet nach Kräutern. „Ein typischer Sonntag“, sagt der 21-Jährige, legt den Controller weg und erzählt von seinem Hobby: „Killertracks raushauen.“ Techno, so wie früher.

Drei Jungs stehen hinter einem Pult mit vielen kleinen Geräten, Knöpfen und Plattenspielern und zappeln, als stünden sie unter Strom. Kevin spricht von Ernsthaftigkeit und Spannungsbögen. Interessiert das die Clubmenschen? Ihm egal: „Wir haben einfach keinen Bock auf Leute, die nur Show machen, die drei Knöpfe drücken und nebenbei wahrscheinlich noch World of Warcraft spielen oder Selfies machen.“

Berlin Calling, die ersten 16er Partys

Jojo kommt rein. Früher hat er bei Schloss Einstein mitgespielt, jetzt ist er auch DJ. Auch er kommt aus Spandau. Da, wo alles begann.

Auf dem Cover der ersten Platte von Fjaak sind die Rieselfelder in Gatow abgebildet, wo sie früher immer rumgehangen haben. Wo die ersten Open Airs stattfanden. Und wo Kevin Kozicki und seine Freunde entdeckten, dass es Techno gibt. Mit 14 bekommt er von einem Kumpel einen alten Drumcomputer mit Samples. „Wir sind voll ausgerastet, dass man so Musik machen kann.“ Dann „Berlin Calling“ mit Paul Kalkbrenner, die ersten 16er Partys in Spandau. Kevin Kozicki schreibt dem Veranstalter des Clubs Rekorder an der Jannowitzbrücke, dass er dort schon mal aufgelegt habe und gerne wiederkommen würde. Obwohl er noch nie in einem Club gespielt hat, noch nicht mal in einem richtigen Club gewesen ist.

Killertracks aus Spandau: Das Techno-Trio FJAAK.
Killertracks aus Spandau: Das Techno-Trio FJAAK.

© Brian Desimone/promo

Es klappt, er bekommt den Gig, spielt Tech-House, „gar nicht so weit von dem, was wir heute machen, ein bisschen kitschiger“, sagt er. „Mit 16 will man halt so richtig abgehen, Bier trinken, Bass hören. Wir Spandau Atzen.“ Er lacht. Zehn Tracks, alles vorher durchgeplant. Er: „Überaufgeregt“. Die Leute feiern. Eine Woche später spielen sie zu dritt. Im Abi-Stress steigt Johannes aus. Der Name Fjaak, aus den Anfangsbuchstaben, bleibt.

Auf das Label von Fritz Kalkbrenner

Der Veranstalter vom Rekorder verschafft ihnen weitere Auftritte, auch außerhalb von Berlin. Wenig später beginnen sie, selbst zu produzieren. Kevin Kozicki ist 17, die anderen 19. Die ersten Tracks bringen sie auf Baalsaal heraus, dem damaligen Label von Fritz Kalkbrenner.

Nach dem Abi geht es nur noch um Musik. Sie ziehen an die Schönhauser Allee. Ein Studio, daneben ein kleines Zimmer mit zwei Betten, im Flur ein Hochbett. „Wir Kecks waren noch von allem begeistert“, sagt Kevin. „Aber selbst wenn du richtig gut bist, gibt es immer die zwei Prozent, die es scheiße finden. Mit mehr Erfahrung denkst du: Ich mache seit fünf Jahren Musik, und du willst jetzt von mir, dass ich Justin Bieber spiele?“

Irgendwann bekommt der Veranstalter vom Berghain ihre Tracks in die Hände, bucht sie direkt. Zwei Jahre ist das nun her, doch Kevin Kozicki erinnert sich noch genau an den Moment. Er sitzt in der Uni, zweites Semester Makroökonomie, „Modelle ohne Realität“, sagt er. Als sein Handy vibriert, steht er auf und geht.

Wer im Berghain spielt, kann in jeder anderen großen Stadt auflegen

Na gut, Spandau geht ja gerade noch, aber sein 1,0er Abi, dieses Studium - das passt einfach nicht ins Bild der Kopf-durch-die-Wand-Techno-Truppe. Kevin versucht es zu erklären: „Musik und Kunst sind an sinnlose Faktoren gebunden wie Marketing und Hype. Ich will am Ende kein Sozialfall werden“. Aber dann: „Ich bin ein Mathe und Chemie Freak, drei, vier Tage powern für Klausuren reicht.“ Felix und Aaron machen ein Tonmeisterstudium. „Manchmal sehen wir uns nur zwei, drei Stunden am Tag, das fuckt ab. Aber an freien Tagen machen wir den ganzen Tag Mucke, zwischendurch kommen Leute vorbei, legen auf, chillen.“ Das Leben in der WG spielt sich an Plattenspielern ab.

Beim ersten Mal Berghain stand Kevins Vater im Publikum. „Neben ihm eine Transe und ein Typ in Latex.“ Er klatscht in die Hände und lacht laut los. Danach geht alles ganz schnell. Wer im Berghain spielt, kann in jeder anderen großen Stadt auftreten. Die Clubs buchen die DJs, um so cool wie das Berghain zu sein.

Im Sommer 2014 nimmt sie das Berliner Duo Modeselektor mit ihrem Label 50 Weapons unter Vertrag. Vorbilder. Im März haben sie auf dem South by Southwest Festival in Texas gespielt und direkt eine kleine USA-Tour drangehängt. Oakland, LA, San Francisco. „Wir arbeiten ziemlich hart, merkt man von außen kaum“, sagt Kozicki. „Wir haben alle auch Nebenprojekte, spielen Instrumente. HipHop, Pop, Rock, wir singen alle.“

"Ey, was für ne Rechnung?"

So sieht auch Fjaaks Arbeitsweise aus. „Manchmal machen wir einen Beat, der läuft 20 Minuten und jeder ist mal alleine im Studio, lässt alle Ideen raus.“ Arbeit? „Am Anfang ist es ein Hobby, und irgendwann musst du einmal im Monat an deinen Steuerberater Belege schicken. Bargeld fürs Taxi dabeihaben, Belege aufheben, nach Datum sortieren. Oder Rechnungen schreiben. Du denkst dir am Anfang, ey was für ne Rechnung?“

Jetzt wohnen sie in einer größeren Wohnung. Auf einem Sofa diskutieren zwei Typen, wie es wäre, mit 400 Joints eingefroren zu werden. „Das ist wie ’ne Zeitreise, nur dass du nicht checkst, dass es eine ist.“ Kevin hängt auf dem Sofa, vor ihm die Playstation, in der Luft Techno, im Kopf die nächste Tour, das erste Album, das im Herbst erscheint.

Haben sie keine Angst abzuheben? Was wollen sie noch? Mit Radiopromotern Tracks konzipieren wie der DJ Alle Farben? Musik machen, die im Hintergrund von Reality-TV läuft wie Parov Stelar? „Das ist alles nicht so geil, wie es auf Facebook aussieht“, sagt Kevin. Man sieht keine Bilder davon, wie sie um vier aufgestanden sind, um irgendwo hinzufliegen, drei Stunden aufgebaut haben, dann Soundcheck und dann ein Kabel fehlt. „Ein fucking Kabel! Und du drehst durch.“

Und alle so: Hol dir ’ne Drum Machine!

Zufall sei das alles. Ob jemand mitbekommt, dass sie irgendwo spielen. Einfach Zufall, dass sie oft in Frankreich spielen, aber zum Beispiel noch nie in Spanien waren. "Du bist jedes Wochenende weg, auch die ganze CO2-Scheiße, die da passiert...aber am Ende ist es einfach immer übertrieben geil. Eigentlich soll alles genauso weitergehen wie jetzt.“

Als er damals gorillamäßig für Facebook posierte, ein Zahn fehlte, fragte er: Drum Machine oder Goldzahn. Und alle: Hol dir ne Drum Machine, Alter! Aber ein polnischer Fan schrieb einen langen Text. Vor 20 Jahren hatte er sich dieselbe Frage gestellt und sich für die Drum Machine entschieden. Und jetzt sind alle seine Zähne krumm, und er könnte sich für das Geld der Zahn-OPs ein ganzes Studio kaufen. Kevin trägt mittlerweile ein Implantat.

Fjaak spielt am heutigen Freitag im Arena Club, Eichenstraße 4, in Treptow, Einlass: 23.59 Uhr, Eintritt: 12 Euro

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Simon Grothe

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