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Nachdem Tuğçe versuchte einen Streit zu schlichten, wurde sie auf einem Parkplatz niedergeschlagen. Sie fiel ins Koma. Am 28. November, ihrem 23. Geburtstag, wurden die lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt.

© dpa

Zum Tod von Tuğçe A.: Wie sollte der Täter behandelt werden?

Der Studentin Tuğçe A. wurde ihre Zivilcourage zum Verhängnis, weil sie einschritt, als zwei junge Frauen in einem Fast-Food-Restaurant belästigt wurden. Manche fragen: Darf dieser Mensch weiterleben, während Tuğçe nicht mehr unter uns weilt?

Haben wir in Deutschland das Prinzip der Vergeltung nicht schon längst abgelegt? Was bringt es, Mördern ebenfalls den Tod zu wünschen? So sieht es auch Renate Künast von den Grünen: „Wer (…) Mörder mit dem Tode bestrafen will, der vergisst zweierlei: Erstens hat der Staat die Aufgabe, das Leben der Menschen zu schützen und nicht, sie zu töten. Und zweitens ist der Staat kein gottgleicher Richter, der unfehlbar über Gut und Böse entscheiden darf.“ Darf er das nicht?

Viele Deutsche scheinen aber genau das zu wollen: Sicherheit um jeden Preis – und koste es ein Menschenleben. Eine aktuelle Studie des Allensbacher Institutes belegt, dass immer mehr Deutsche nicht nur härtere Strafen, sondern sogar die Todesstrafe fordern. 25 Prozent der Bevölkerung. Jeder vierte Mensch mit dem ihr in der Bahn sitzt.

Kann es eine Lösung sein, für rückfällige Straftäter die Todesstrafe wieder einzuführen? Dabei heißt es doch immer, dass die abschreckende Wirkung gar nicht greift. Eine neue Fernsehserie, die auf der Autobiographie einer ehemaligen Insassin beruht, hat mir gezeigt, dass Justizsystem und Gefängnisaufenthalt inklusive des Freiheitsentzugs, (der natürlich sehr berechtigt ist!) schon Strafe genug sind. Es findet Gewalt unter den Gefangenen statt, man ist den Wachen und Gefängnisbeamten ausgeliefert. Nach der Entlassung fängt erst die richtige Hölle an.

Wovon soll man leben, wenn man zuvor alles verloren hat? Und zwar nicht nur Materielles. Es müsste meines Erachtens viel mehr dafür investiert werden, diese Menschen beim Einstieg zurück in den Alltag zu unterstützen. Ich glaube nicht, dass man mit immer schlimmeren Strafen Straftaten verhindern kann. Man muss das Problem bei der Wurzel fassen und schauen, wo die Gewalt herkommt. Nein, es geht darum, zu verhindern, dass Straftaten verübt werden, durch gesamtgesellschaftliche Prävention. Oder eben Zivilcourage. Bundesjustizminister Heiko Maaß (SPD) sagt, dass man solchen Gewalttaten wie im Fall Tuğçe vor allem dadurch vorbeugen könne.

Wie kann man Zivilcourage zeigen?

Herbert Scheithauer ist Professor für Entwicklungs- und klinische Psychologie an der FU. Nebenberuflich engagiert er sich als Vorsitzender in dem Projekt „fairplayer“, mit dem Zivilcourage bei Jugendlichen gefördert werden soll. Wichtig ist immer, die Polizei anzurufen, sagt er. Man sollte auch nicht alleine in eine brenzlige Situation eingreifen: Oft sind andere Leute auch vor Ort, die man gezielt ansprechen kann: „Hey, Sie im grünen Pulli, helfen Sie mir mal!“ zum Beispiel. Übernimmt man so eine Situation, kann man auch den Leuten verschiedene Aufgaben geben: Einer ruft die Polizei, zwei halten den Täter fest und zwei kümmern sich um das Opfer. Scheithauer betont, dass es in solchen Lagen nichts bringt „lange zu überlegen und Nachzuschlagen, was man machen kann.“ Wichtig ist es, aktiv und entschlossen zu handeln und nicht alleine zu sein.

Zwei Bundespolizisten sagten uns, das oberste Gebot sei es, sich keinesfalls selbst in Gefahr zu bringen. Trotzdem helfen? Natürlich! Ihr seid keine Drückeberger, wenn ihr euch nicht zwischen Täter und Opfer werft. Sondern wenn ihr wegschaut, keine Umstehenden zur Mithilfe auffordert, die Polizei nicht alarmiert. Die Polizistin sagte mir aber auch, dass es situationsabhängig sei. Ich als junge Frau solle mich auf keinen Fall einmischen, wenn der Täter körperlich überlegen ist. „Aber es ist für uns sehr wichtig, dass sich Zeugen Tätermerkmale einprägen und schnell reagieren, indem sie professionelle Hilfe holen. Das ist für uns schon Zivilcourage“.

Auch wenn Zivilcourage und Prävention die meisten Straftaten nicht verhindern können, bleibe ich dabei, dass die Todesstrafe heutzutage keine Option zur Abschreckung mehr sein kann. Ja, sie ist ein deutliches Zeichen gegen sehr schlimme Verbrechen, aber in meinen Augen auch ein Zeichen gegen die Menschenwürde. Die Trauer und der Schmerz der Angehörigen von Opfern sind immens. Und deswegen kann ich auch verstehen, wenn sie dem Täter nicht vergeben können. Aber im Justizsystem unseres modernen Staates muss es möglich sein, auf inhumane Strafen wie Todesstrafe und Folter zu verzichten.

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Lena Skrotzki, Luzi Wagner

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