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Berlin: Jugendgangs verüben immer mehr bewaffnete Überfälle

Kreuzberg und Neukölln sind Schwerpunkte für brutale Raubzüge. Die Dunkelziffer ist hoch

Kreuzberg und Neukölln sind Schwerpunkte für brutale Raubzüge. Die Dunkelziffer ist hoch

Immer mehr Kinder und Jugendliche in Berlin erleben das: Plötzlich sind sie von einer Jugendgang umstellt, einer bedroht sie mit dem Messer, dann werden sie „abgezogen“, das heißt im Jargon: Die Bande nimmt ihnen Telefon, Geld oder Markenkleidung ab. In den ersten neun Monaten 2006 ist die Zahl der Raubtaten durch Jugendliche im Vergleich zum Vorjahr um 5,5 Prozent gestiegen. Die Dunkelziffer ist kaum zu schätzen, viele Taten werden nicht angezeigt. Die Opfer: meist ebenfalls Jugendliche zwischen zwölf und zwanzig.

Das Überfall-Risiko ist vor allem in Neukölln und Kreuzberg hoch: Von 2560 angezeigten Raubtaten geschahen 770 innerhalb der für diese beiden Bezirke zuständigen Polizeidirektion 5. Und die Brutalität nimmt zu: Bei jeder vierten Raubtat wurden Waffen eingesetzt. Die Statistik registrierte bei Raubtaten mit Waffeneinsatz eine Zunahme von 23 Prozent. Ein großer Teil wurde von Jugendbanden begannen, die vor allem in den genannten Bezirken aktiv sind. In einem Bericht des Landeskriminalamtes zur Jugendgewalt sind elf Banden namentlich benannt (siehe Kasten). Der „Chef“ der bekanntesten dieser Gangs, der „Neuköllner Killer Boys“, ist vor wenigen Wochen verurteilt worden – zu vier Jahren und sieben Monaten. Geahndet wurden knapp 30 Straftaten, überwiegend der Raub von Handys. Nach Angaben der Polizei soll der gerade einmal 14 Jahre alte Täter mit wechselnden Komplizen seiner „Killer Boys“ etwa 70 Straftaten begangen haben.

Die Banden seien sehr locker strukturiert, sagte ein Ermittler. „Die treffen sich zufällig auf dem Spielplatz und dann geht man abziehen.“ Die Gangs hätten keine Statuten, keine regelmäßigen Treffen, keine einheitliche Kleidung. Vor Jahren, erinnert sich ein Kreuzberger Polizist, habe die „Simsek“-Gang (türkisch für „Blitz“) noch Blitz-Symbole auf der Jacke getragen. Neu ist: Die Gruppen setzen sich aus den verschiedensten Nationen zusammen. Kürzlich saßen nach gemeinschaftlichem Raub fünf Jugendliche in der Gefangenensammelstelle: „Ein Iraker, ein Iraner, ein Libanese, ein Türke und ein Deutscher“, sagt ein Beamter. „Die haben damit überhaupt kein Problem.“

Die Dunkelziffer bei den Überfällen sei enorm, sagt ein Neuköllner Ermittler. Die Täter prahlten regelrecht damit, sie hätten „schon 40 Handys gemacht“. „Und wir können ihnen gerade mal vier Überfälle nachweisen.“ Fünf Jahre Gefängnis stehen auf den Einsatz einer Waffe, doch das Delikt kommt mittlerweile täglich vor. „Raub mit Messer“ war am Sonnabend eine Meldung des Präsidiums überschrieben: „Samstagabend gegen 21 Uhr wurde eine 14-Jährige auf dem U-Bahnhof Mehringdamm in Kreuzberg von drei Jugendlichen angehalten und mit einem Messer bedroht. Die Täter flüchteten mit einem Handy und Geld in unbekannte Richtung.“

Die geraubten Telefone werden, wenn die Bandenmitglieder sie nicht selbst behalten, für wenig Geld an Hehler weitergegeben. Ein Beispiel aus der vergangenen Woche: Zufällig konnten Zivilfahnder in der S-Bahn beobachten, wie Jugendliche einem anderen das Telefon abnahmen. Der 17-jährige Haupttäter wurde festgenommen – ein Volltreffer. Gegen Mohamed D. lag ein Haftbefehl vor wegen neun weiterer Raubtaten und je einem Fall von gefährlicher Körperverletzung, Diebstahl und Nötigung. Die Staatsanwaltschaft führt den aus Neukölln stammenden D. als Intensivtäter, einer von derzeit 471. Nun sitzt er in Untersuchungshaft. Seine Komplizen kamen wieder auf freien Fuß.

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