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Spielend leicht gegen Gewalt

© Heerde

Jugendgewalt: Spielend leicht gegen Gewalt

Weniger Gewalt durch mehr Sport. Seitdem eine Turnhalle in Spandau-Wilhelmstadt für Jugendliche offen steht, sind die Straftaten in der Gegend spürbar zurückgegangen. Eine flächendeckende Anwendung des Konzeptes in Berlin ist trotz des Erfolges vorerst nicht geplant.

Eine Sporthalle in Spandau-Wilhelmstadt, Freitagabend, kurz vor Mitternacht. An Ghetto erinnert hier nur der Ghettoblaster, aus dem Hip-Hop dröhnt. Doch in der Halle spielt die Unterschicht: vor allem Jugendliche mit dem berüchtigten „Migrationshintergrund“. Sie alle eint die Herkunft aus sozial schwachen Familien aus den umliegenden Hochhaussiedlungen, die Biographie mit Schulproblemen und das Gefühl der Nichtbeachtung durch die Politik. Einige haben eine dicke Akte bei der Polizei, werden dort als Intensivtäter geführt.

Ein Dutzend Kids kickt auf die Tore, Bälle fliegen hart durch die Halle, die Beobachter auf der Bank ziehen die Köpfe ein. Am Spielfeldrand sitzt auch der Sozialarbeiter Ismail Öner. Der 30-Jährige hat das Projekt „Mitternachtssport Spandau“ mitinitiiert. Es ist das erste seiner Art in Berlin und läuft seit fast einem Jahr. „Es ging uns darum, zu einer ungewöhnlichen Zeit ein ungewöhnliches Angebot zu schaffen, wenn die Verlockung der Straße am größten ist“, erklärt er. Die Resonanz bei den Kids sei „gigantisch“. Mehr als 60 Jugendliche spielen bis drei Uhr morgens in der Halle der Carlo-Schmid-Oberschule Fußball.

Der Erfolg ist messbar

Die Idee stammt aus den Ghettos von New York und den Pariser Banlieues. Die Koordination teilen sich der Verein für Jugend- und Sozialarbeit sowie der Sportjugendclub Wildwuchs. Finanziert wird das Projekt von Bezirk und Senat. Für zwei Jahre fließen 77 000 Euro – eine Investition, die sich lohnt. Früher galt die Gegend Heerstraße-Nord als „KBO-Bezirk“, als „kriminalitätsbelasteter Ort“. Anwohner fühlten sich bedroht, Ladenbesitzer von herumlungernden Jugendgangs belästigt. Weil das Geld fürs Kino und die Disco fehlte, tummelten sich die 14- bis 20-Jährigen freitag- und samstagabends auf der Straße, schlugen in Spielotheken die Zeit tot, rauchten Wasserpfeife. Und weil das so langweilig ist, wie es klingt, „haben wir dann Scheiße gebaut“, erzählt der 19-jährige Mehmet. „Scheiße“ hieß dann oft Diebstähle, Raub oder Körperverletzungen. Der Erfolg ist messbar. „Die Straftaten gingen spürbar zurück“, sagt der für den Abschnitt zuständige erste Polizeihauptkommissar, Stefan Miersch.

Umso mehr verwundert es, dass das Spandauer Vorzeigeprojekt in anderen Bezirken bislang kaum Nachahmer findet. Lediglich in Neukölln kommen mit „BBall44“ im Oktober regelmäßige Basketballspiele am Wochenende hinzu. Während Mitternachtssport-Angebote in anderen Großstädten wie Hannover, Frankfurt am Main und Köln das zehnjährige Jubiläum anpeilen oder schon hinter sich haben und sich über alle Stadtteile verteilen, kämpfen Berliner Sozialarbeiter mit bürokratischen Hürden, skeptischen Bezirkspolitikern, die Schäden an Turnhallen durch herumfliegende Bälle befürchten, und Nachbarn, die um drei Uhr morgens keinen Lärm aus der benachbarten Turnhalle hören wollen.

Die vergebliche Suche nach Hallen bestätigt auch Thomas Martens vom Verein für Sport und Jugendsozialarbeit, der das Projekt „KICK – Sport gegen Jugenddelinquenz“ koordiniert. Dieses bietet vor allem nachmittags und in den Abendstunden in der Woche Sport für Jugendliche aus sozialschwachen Familien an sowie unregelmäßige Sonderprojekte am Wochenende. „Wir haben massig Zulauf, würden zum Beispiel gern jeden Freitag Eissport anbieten, aber es scheitert an den Hallenkapazitäten.“

Vor allem Migranten, die am Wochenende kein Geld für die Disco haben oder vom Türsteher abgewiesen werden, würden über den Mitternachtssport erreicht werden, sagt Gunter Pilz, Professor an der Uni Hannover. „Nachts ist der Hang, nach draußen zu gehen, am größten. Und da gibt es die wenigsten Angebote.“ Wichtig sei überdies, dass die Jugendlichen nicht nur offene Hallen vorfinden, sondern auch offene Ohren für ihre Probleme.

Für die Jugendlichen stehen in Spandau neben Öner zwei weitere Honorarkräfte bereit. Damit sei das Projekt mehr als nur ein Freizeitangebot. Es vermittle Werte wie Fair Play, Teamwork und verbindliche Regeln. Alkohol, Waffen und Gewalt sind in der Halle verboten. Darüber hinaus sei es eine Möglichkeit, einen Zugang zu Jugendlichen zu bekommen, die von anderen Sozialpädagogen längst aufgegeben wurden, etwa in Jugendzentren Hausverbot haben. Zwischen den Spielen hätte sich ihm bereits so mancher anvertraut: „Hey, in der Schule läuft's nicht so gut.“ Einige Kids begrüßen ihn bereits mit „Issi abi“, übersetzt „großer Bruder“.

Die Förderung weiterer Mitternachtssport-Projekte hat der Senat vorerst nicht geplant, informiert der Integrationsbeauftragte. Auf die Frage, warum die Hauptstadt angesichts der Erfolge in anderen Städten nicht mehr in den Sport zu später Stunde investieren will, heißt es nur: „Das müssen sie die Sportverwaltung und Träger fragen.“ Wenigstens in Spandau hat sich der Bezirk nun bereit erklärt, drei weitere Turnhallen nachts zu öffnen.

Jörg Oberwittler

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