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Jugendkriminalität: Neuköllner Modell wird zum Exportschlager

Andere Städte machen mit schnellen Verfahren für junge Täter gute Erfahrungen. In Berlin dagegen geht es mit der Umsetzung nur schleppend voran.

Von Fatina Keilani

Das „Neuköllner Modell“ entwickelt sich zum Exportschlager der Berliner Justiz. Norderstedt bei Hamburg zum Beispiel meldet einen Rückgang der Jugendkriminalität, seit jungen Straftätern dort zackig der Prozess gemacht wird. Auch andere Städte sind dabei, das Verfahren einzuführen. Die Grundidee ist, einen straffälligen Jugendlichen schnell eine Reaktion des Staats spüren zu lassen – nicht erst, wenn er seine Tat schon vergessen hat.

Berlin selbst hat das ursprünglich nur in Neukölln praktizierte Modell seit dem vergangenen Sommer auf die ganze Stadt ausgeweitet. Allerdings werden hier noch nicht die Verfahrenszahlen erreicht, die sich Experten erhofft hatten. Das liegt aber nicht an mangelndem guten Willen. Berlin ist groß – und die Wege lang. Alle Beteiligten müssen besonders geschult werden, allen voran die 17 000 Polizeibeamten. „Es gibt noch großen Schulungsbedarf“, sagt der Jugendrichter Stephan Kuperion, der sich seit der ersten Stunde für das Neuköllner Modell engagiert. Erdacht wurde das Modell von der verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig, mit der Kuperion befreundet war.

Begeht ein Jugendlicher eine Straftat, so ist meist der Polizist der Erste, der mit ihm in Kontakt kommt. Er muss also erkennen, ob die Tat für eine Verurteilung nach dem beschleunigten Verfahren infrage kommt. Dann muss er die Staatsanwaltschaft einschalten, und die entscheidet. Im ersten Quartal 2011 wurden in Berlin monatlich etwa 25 Fälle auf diese Weise erledigt; erhofft hatte man sich 100. „Wenn wir jetzt fundiert schulen, erreichen wir diese Zahlen in ein paar Jahren“, sagt Kuperion. „Es ist wirklich ein Kraftakt, und die meiste Arbeit hat die Polizei.“ Denn das ehrgeizige Ziel, von der Tat bis zur Hauptverhandlung nur drei Wochen vergehen zu lassen, bedeutet: Der übliche Schriftverkehr mit wochenlangen Fristen ist nicht drin. „Und dass die Klientel schnell zur Wache kommt, auch nicht“, so Kuperion. Die Polizei müsse in Schulen und Elternhäuser gehen und dort Zeugen und Tatverdächtige vernehmen.

Erwartbar wäre, dass die Beamten über diese Mehrarbeit nicht gerade erfreut sind. Doch das sei nicht der Fall, beteuert Rolf Kaßauer, Landesgeschäftsführer beim Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). „Grundsätzlich ist das eine super Idee“, sagt Kaßauer. „Sinn der Sache ist auch, kriminelle Karrieren schon im Frühstadium zu beenden.“ Und das funktioniere: „Das Modell ist ein Grund für den Rückgang der Jugendgewalttaten.“ Die Polizei hält sich bei Anfragen zum Neuköllner Modell allerdings auffallend bedeckt.

Juristisch gesehen zählt das Neuköllner Modell zu den vereinfachten Jugendverfahren nach Paragraph 76 des Jugendgerichtsgesetzes. Der Anteil dieser vereinfachten Verfahren hat sich seit 2007 immerhin auf knapp 14 Prozent der Jugendstrafsachen verdoppelt. Im Jahr 2010 waren das 1782 Verfahren. Dagegen nehmen sich 25 Verfahren pro Monat im Neuköllner Modell eher mager aus.

Das Modell kommt nur in Betracht, wenn es sich um eine leichtere Straftat handelt, die Beweislage einfach ist, keine weiteren Verfahren gegen den Beschuldigten laufen und Polizei und Staatsanwaltschaft keine Jugendstrafe für angebracht halten. Die härteste Maßnahme sind vier Wochen Jugendarrest.

Wegen der zurückgehenden Jugendkriminalität ist die Arbeitsbelastung der Gerichte aber auch allgemein gesunken, was zu kürzeren Verfahren geführt hat. So dauerte das reguläre Jugendgerichtsverfahren im Jahr 2010 ab Eingang bei Gericht nur zwei Monate, vor dem Jugendschöffengericht 4,6 Monate.

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