zum Hauptinhalt

Berlin: Jugendliche Selbstmörder: Aus Liebeskummer in den Freitod

Im Polizeibericht vom Montag liest sich die Tragödie sehr sachlich. "Vermutlich in Selbsttötungs-Absicht lief in der vergangenen Nacht gegen 21 Uhr 20 ein 16-Jähriger aus Zehlendorf rund 120 Meter vor dem Bahnübergang Säntisstraße in Marienfelde vor einen in Richtung Marienfelde fahrenden S-Bahnzug.

Im Polizeibericht vom Montag liest sich die Tragödie sehr sachlich. "Vermutlich in Selbsttötungs-Absicht lief in der vergangenen Nacht gegen 21 Uhr 20 ein 16-Jähriger aus Zehlendorf rund 120 Meter vor dem Bahnübergang Säntisstraße in Marienfelde vor einen in Richtung Marienfelde fahrenden S-Bahnzug." Der Jugendliche "konnte nur noch tot geborgen werden". Bereits am Sonnabend hatte sich ein Gleichaltriger offenbar aus Liebeskummer aus dem 10.Stock eines Hauses in Lichtenberg gestürzt - gleich zwei junge Berliner setzten also am Wochenende ihrem Leben ein Ende.

Leider keine Einzelfälle. Zwischen 1992 und 1995 stieg die Zahl der Suizide bei jungen Berlinern bis 25 Jahren von 33 auf 46. 1999 nahmen sich drei Jungen zwischen 10 und 13 das Leben; zwölf 15- bis 20-Jährige sowie 22 Heranwachsende zwischen 20 und 25 Jahren machten Schluss. Insgesamt 37 Suizide - sieben mehr als im Vorjahr.

Wieviele junge Menschen dieses Jahr freiwillig aus dem Leben schieden, konnten gestern weder die Polizeipressestelle noch das Statistische Landesamt beziffern - Medienberichten nach gab es insgesamt fünf dieser tragischen Todesfälle.

Nach Auskunft der Beratungsstelle "Neuhland" kommen auf eine vollzogene Selbsttötung aber 20 bis 30 Versuche. Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren sind am stärksten gefährdet. Sie schneiden sich die Pulsadern auf oder schlucken Tabletten. Jungen flüchten noch radikaler aus dem Leben: Sie fahren mit dem Auto vor den Baum, springen aus dem Fenster oder vor die U-Bahn. Unter Jungen gilt es immer noch als "uncool", über Probleme zu reden. So wird vieles verdrängt, bis alles aussichtslos erscheint. Kinder, die sexuell missbraucht oder geschlagen werden, sind besonders gefährdet. Sie geben bei Liebeskummer, Streit mit den Eltern oder schlechten Zensuren gänzlich auf. Was am Wochenende die genauen Tatmotive waren, konnte die Polizei noch nicht sagen. Einen Ausweg bietet "Neuhland" mit je zwei Beratungsstellen und Krisenwohnungen in Friedrichshain und Wilmersdorf. In den Wohnungen kamen 1999 kurzfristig 76 Suizidgefährdete unter. Im Jahr 2000 waren es 91 Hilfesuchende - die zuvor auf ihre seelische Notlage aufmerksam machten mit Briefen wie diesem: "Ich wurde auf einem falschen Planeten geboren, ich passe nicht auf diese Welt. Das ganze Leben ist so sinnlos." Für die beiden 16-Jährigen kam aber am Wochenende jede Hilfe zu spät.

Annette Kögel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false