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Berlin: Jugendrichter sind besorgt: Strafen lassen junge Täter kalt Gewaltbereitschaft und Verrohung nehmen vor allem in Einwanderermilieus

in Wedding und Neukölln zu. Reue wird deutlich seltener gezeigt als früher

Jugendliche Straftäter in Neukölln und Wedding fallen immer öfter durch besondere Rohheit und Gewaltbereitschaft auf. Jugendrichter haben den Eindruck, vor allem die jugendlichen Täter aus dem Einwanderermilieu nicht mehr zu erreichen und ihnen nicht mehr ins Gewissen reden zu können. Strafverfolgung lässt sie offenbar kalt. Das sagten übereinstimmend sechs Jugendrichterinnen und Jugendrichter in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel. Anlass des Gesprächs war die neue Diskussion über die Integrationsschwierigkeiten und entstehende Parallelgesellschaften.

Sorge macht den Richter die wachsende Bereitschaft von Jugendlichen, „aus dem Nichts“ heraus Verbrechen zu begehen, wie Richter Georg Plüür sagte. Er habe jüngst mit fünf Jugendlichen zu tun gehabt, die ohne vorher aufgefallen zu sein die Betreiber eines Neuköllner Tabakwarengeschäfts überfallen, bedroht und beraubt hätten. Richter Günter Räcke sprach von einem Realschüler, in dessen Leben alles in Ordnung zu sein schien – bis er plötzlich fünf Überfälle in einer Serie beging. Richter Fred Rudel sprach von einem Jugendlichen, den er wegen eines Überfalls auf einen Wachmann und wegen Körperverletzung „aus dem Stand“ zu einer Strafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt habe – eine schwere Strafe nicht bloß, weil es sich bei dem Täter um einen Jugendlichen handelt, sondern weil Jugendrichter vor allem erzieherisch wirken wollen und sollen.

Das setzt allerdings eine gewisse Bereitschaft zur Reue und Offenheit bei den Tätern voraus. Beides ist, wie die Richter meinen, bei immer mehr Delinquenten nicht mehr vorhanden. Richterin Andrea Bartl, zuständig für Jugendliche aus Wedding, sprach von Tätern, „an die man nicht mehr herankommt“ – „das schlechte Gewissen, das ist nicht da“. Günter Räcke sagte, „selbst das Überfallen alter Damen bringt Sozialprestige“. Immer jüngere Täter begehen nach seiner Wahrnehmung immer schwerere Straftaten“. Antriebskraft für diese Täter ist – neben dem materiellen Gewinn – das Ansehen, das sie bei ihresgleichen gewinnen: Kriminell sein macht starken Eindruck. Das gilt nach Einschätzung der Richter für junge Frauen genauso wie für junge Männer.

Erschütternd ist für die Richter die Erkenntnis, dass die Eltern der Täter sich für das Schicksal ihrer Kinder kaum interessieren. Richter Plüür sagte, 80 Prozent der Eltern kämen nicht zu den Verhandlungen. Richter Rudel machte die Erfahrung, dass Täter sich von „Kumpels“ begleiten ließen, die offenbar nicht erkennen, dass der Anschein besonderer Coolness einem Beschuldigten vor dem Richter nicht hilft. Richterin Kirsten Heisig wusste von einem 15-jährigen Intensivtäter, der seine kriminelle Laufbahn mit elf begonnen hatte und in seiner Familie die wichtigste Person war, weil er als einziger Deutsch kann. Er dolmetsche für die Mutter auf dem Sozialamt. Die Familie habe, konfrontiert mit den Delikten des Jungen, einen Einzelfallhelfer des Jugendamtes abgelehnt: Sie wolle nicht, dass jemand in die Familie hineinblicke.

Für die Jugendrichter baut sich ein Konfliktpotenzial auf, das durch Sprachförderung allein nicht zu verringern ist. Sie bemerken kulturelle Abschottung bei jugendlichen Straftätern aus der Migrantenszene und einen völligen Mangel an Respekt vor der einheimischen Bevölkerung und vor westlichen Werten. Richter Plüür erzählte allerdings, dass auch schon türkischstämmige Neuköllner in den Gerichtssaal gekommen seien, um zu fragen: Wann machen Sie mal was gegen die kriminellen Jugendlichen? „Die ziehen weg“, sagte Plüür.

Das Beispiel Rollberg-Kiez habe bewiesen, dass Repression durch stärkere Polizeipräsenz „in besonders schwierigen Situationen“ etwas helfe. Solche Situationen sind in den Augen der für Neukölln und Wedding zuständigen Richter zur Normalität geworden.

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