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Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast gratulierte am Sonnabend im Friedrichstadtpalast Sofia Stiegert. Sie ist die 50 000. Teilnehmerin an der Jugendfeier des Humanistischen Verbandes.

© David von Becker

Jugendweihe und Konfirmation: Im Frühling des Lebens

Berlin wird erwachsen. In diesen Wochen feiern viele 14-Jährige Jugendweihe oder Konfirmation. Beide Riten liegen wieder im Trend.

Mehr als 400 Jugendliche und ihre Familien sitzen am Sonnabendvormittag festlich gekleidet im Friedrichstadtpalast. Jeder Einzelne von ihnen wird namentlich auf die Bühne gebeten und bekommt eine Blume überreicht, Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) und die grüne Spitzenkandidatin Renate Künast sind als Festrednerinnen gekommen. Es ist der erste von fünf Terminen in diesen Wochen der Jugendfeiern, zu denen in diesem Frühling mehr als 2000 Achtklässler kommen.

Auch Sofia Stiegert ist zum Friedrichstadtpalast gekommen. Dabei wird ihre Jugendfeier erst in vier Wochen stattfinden. Doch sie ist die 50 000. Teilnehmerin seit 1991. Deshalb wird sie im Foyer von Renate Künast persönlich begrüßt: Auf der Treppe posieren sie für ein gemeinsames Foto, danach fährt Sofia wieder heim. Die Feier will sie sich nicht ansehen. Um sich die Überraschung nicht nehmen zu lassen.

Vor acht Jahren war Sofia auf der Jugendweihe ihrer Cousine, „seither hatte ich das im Kopf“. Die Schülerin der Herder-Oberschule ist bulgarisch-orthodox getauft, in ihrer Religion gibt es weder Konfirmation noch Firmung. Deshalb hat sich Sofia für die Jugendfeier entschieden. Ein halbes Jahr lang hat sie am Vorbereitungsprogramm teilgenommen, in dem unter anderem diskutiert wurde, was es heißt, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Was sie sich von dem Festakt erwartet? Von den Erwachsenen künftig etwas ernster genommen zu werden, sagt die 14-Jährige. Und auch Katja Stiegert, ihre Mutter, blickt dem Ereignis mit Nervosität entgegen. Sie glaubt, dass danach der schwierige Prozess des Loslassens beginnt, „die Jugendfeier ist ein erster Schritt in diese Richtung.“

Früher fingen Jugendliche mit 14, 15 Jahren an zu arbeiten, die Kindheit war damit zu Ende. Viele Religionen kennen Rituale, die diesen Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenleben markieren. Bei den Protestanten ist es die Konfirmation, bei den Katholiken die Firmung, und wer sich an keine Konfession gebunden fühlt, kann zur Jugendweihe gehen.

Das Interesse an Übergangsriten ist ungebrochen. Laut einer Statistik der Evangelischen Kirche lassen sich ein Drittel der 14-Jährigen in Deutschland konfirmieren. In Berlin konnte die Kirche sogar eine leichte Steigerung verzeichnen von 12,2 Prozent der 14-Jährigen 2001 auf 12,4 Prozent 2009, in Brandenburg von 8,9 auf 13,7 Prozent. Gleichwohl ist die absolute Zahl von Konfirmationen geschrumpft: von 7830 Konfirmationen in Berlin und Brandenburg 2001 auf 6335 2009, weil es insgesamt viel weniger 14-Jährige gibt. 2001 waren 38 269 Brandenburger 14 Jahre alt, 2009 nicht mal mehr die Hälfte: 16 392. In Berlin ging die Zahl der 14-Jährigen von 36 281 (2001) auf 24 987 im Jahr 2009 zurück.

Auch bei der Jugendweihe haben sich die absoluten Zahlen mehr als halbiert. An den Feiern des Jugendweihe e.V. nahmen in Berlin vor zehn Jahren 8042 Jungen und Mädchen teil, fünf Jahre später waren es 3270; bei den Feiern des Humanistischen Verbands Deutschland (HVD) ging die Zahl im selben Zeitraum von 3685 auf 1567 zurück. Neuerdings verzeichnet man wieder einen Anstieg: In diesem Jahr gab es 25 Prozent mehr Anmeldungen als im Vorjahr. Laut HVD wird das Ritual nicht mehr als DDR-Relikt wahrgenommen. Tatsächlich ist die Jugendweihe keine ostdeutsche Erfindung: Es gab sie bereits im 19. Jahrhundert. In den zurückliegenden Jahren sei die Zahl der Teilnehmer aus den Westbezirken der Stadt kontinuierlich gestiegen, sagt HVD-Sprecher Thomas Hummitzsch. Heute liegt der Anteil bei mehr als zehn Prozent, was damit zu tun haben mag, dass der Verband den Lebenskundeunterricht an den Schulen betreut.

Alina Schaeffer hat ihren großen Tag bereits seit drei Wochen hinter sich. Die 16-Jährige ist eine von 55 Jugendlichen, die dieses Jahr in der Wilmersdorfer Auenkirche konfirmiert wurden. Die Orgel brauste, die Gäste standen, als die Konfirmanden in die Kirche einzogen. „Es hat sich so feierlich angefühlt“, sagt Alina Schaeffer, „ich war so glücklich“. Nach dem Gottesdienst gab es ein Familienfest und Geschenke. Wichtiger aber war Alina, dass sie eine neue Dimension im Leben entdeckt hat und dass sie sich jetzt aufgehobener fühlt und sicherer, was sie will und wie sie mit anderen umgeht.

Dass Alina Schaeffer zur Konfirmation gehen würde, war nicht selbstverständlich. Ihre Eltern halten nicht viel von der Kirche. Doch vor zwei Jahren begleitete sie eine Freundin zur Konfirmation und war überrascht von der Predigt. Es ging ums Erwachsenwerden, um coole Jungs und Schwäche. Alina fühlte sich angesprochen und beschloss, sich die Sache mit der Kirche näher anzuschauen.

Bei der Hälfte der Konfirmanden spielt die Erwartung von Geld und Geschenken eine Rolle bei ihrer Entscheidung für die Konfirmation, ergab 2009 eine Umfrage der Evangelischen Kirche. Die Berliner Jugendlichen wollen laut dieser Studie allerdings vor allem: gesegnet werden. Sie möchten eine sinnliche Bestärkung für ihr weiteres Leben. Geld und Segen sind für die Jugendlichen kein Widerspruch.

Die Auengemeinde bietet den Konfirmandenunterricht in zwei Modellen an: „Konfir Klassik“ mit wöchentlich einer Stunde über eineinhalb Jahre und „Konfir Kompakt“ mit vier Stunden einmal im Monat. In anderen Gemeinden dauert der Unterricht zwei oder drei Jahre. Alina Schaeffer hat Bibel, Gottesdienst und Kirchenjahr kennengelernt, sich mit Jesus und Luther auseinandergesetzt. Höhepunkt war die einwöchige Fahrt nach Sylt. In der Abschlussprüfung wurde das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und die zehn Gebote abgefragt. Neben der Vermittlung von Wissen kommt es Pfarrerin Katharina Plehn-Martins darauf an, dass die Jugendlichen „merken, dass ihnen jemand zuhört, ihre Hoffnungen und Ängste ernst nimmt und sie so akzeptiert, wie sie nun mal sind in der Pubertät“.

Manches könne sie definitiv nicht glauben, sagt Alina. Die Vorstellung eines strafenden Gottes kommt ihr absurd vor. „Wenn Gott an der Schöpfung der Menschen beteiligt ist, dann muss er doch auch Verständnis für seine Schwächen haben“. Doch trotz der Zweifel glaubte Alina allmählich daran, dass es nicht nur irgendeine höhere Macht gibt, sondern einen Gott – auch wenn sie nicht genau sagen kann, wie der aussieht. Als sie das Vaterunser auswendig lernte, ist ihr besonders die Zeile im Kopf geblieben: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“. Sie hatte sich furchtbar mit einer Freundin zerstritten. „Das Vaterunser hat mich da rausgeholt“, sagt Alina.

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