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Justiz: 40 neue Richter: Senat will Hartz-IV-Klagen bändigen

Dringende Fälle werden zurzeit vorgezogen, der Rest der Kläger muss länger warten. Justizsenatorin von der Aue und Richter werfen den Jobcentern zu viele Fehler vor. Neues Personal soll dem Berliner Sozialgericht nun helfen.

In ein paar Tagen gibt es am Sozialgericht ein Jubiläum, aber kein schönes: Das 50 000. Verfahren zu Hartz IV geht ein. Und der Unmut wächst, denn das Gros der Fälle wäre vermeidbar gewesen, wenn vorher sorgfältiger gearbeitet worden wäre. „Hier wird die Justiz missbraucht als Reparaturbetrieb für Dinge, die anderweitig zu verantworten sind“, sagte Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) dem Tagesspiegel. „Wir haben weder das hochgradig komplizierte Gesetz zu verantworten, noch, dass in den Jobcentern oft nicht ausreichend qualifizierte Leute nur mit Zeitverträgen arbeiten.“ Auch in diesem Jahr sei die Zahl der Eingänge wegen Hartz IV wieder stark gestiegen. „In der Regel machen die Jobcenter viele Formfehler“, so von der Aue. Sie kündigte an: „Wir werden 40 zusätzliche Richterstellen möglichst schon ab nächstem Jahr zu den bisher 85 Sozialrichtern beantragen. Dazu kommt dieselbe Anzahl an Rechtspflegern. Wir können uns da keinen Flaschenhals erlauben, in dem die Klagen hängen bleiben.“

Ein solcher Flaschenhals hat sich nach Angaben von Sozialrichter Michael Kanert allerdings längst gebildet. „Wir können nicht mit den Eingängen Schritt halten“, so Kanert. „Im ersten Halbjahr 2008 sind rund 3000 Akten liegen geblieben.“ Allein im Juli gingen 3046 neue Verfahren ein, davon 1972 zu den Themen Hartz IV und Sozialhilfe. Kanert: „Existenzielle Notfälle werden immer noch binnen weniger Wochen entschieden, aber dafür kann es sein, dass ein Rentner, bei dem vielleicht noch komplizierte Ermittlungen anzustellen sind, drei bis vier Jahre auf sein Urteil wartet.“

Fast die Hälfte der Kläger hat Erfolg, oft wegen Form- und Verfahrensfehlern des Jobcenters. Etwa wenn jemandem Leistungen gekürzt werden, erst um zehn Prozent und dann um zwanzig Prozent, ihm das aber nicht gleich mitgeteilt wird, sondern die Behörde beide Kürzungsbescheide zusammen rausschickt. Dann ist die zweite Kürzung rechtswidrig.

Für Olaf Möller von der Regionaldirektion der Arbeitsagentur leisten die Mitarbeiter der Jobcenter keine schlechte Arbeit. „Das Gesetz enthält viele unbestimmte Begriffe, die erst mit Leben gefüllt werden müssen – von Gerichten“, so Möller. Er meint Fragen wie die, welcher Wohnraum „angemessen“ ist, oder welches Vermögen wann anzurechnen ist. Allein im Mai hätten die Jobcenter 65 000 Bescheide verschickt, nur gegen 1300 sei Widerspruch eingelegt worden, und es habe nur 176 Klagen gegeben.

„Der häufigste Grund für Erfolg vor Gericht ist, dass fehlende Unterlagen nachgereicht werden“, sagt Wilfried Nünthel, Geschäftsführer des Jobcenters Treptow-Köpenick. Hier räumt auch Möller Nachholbedarf ein: „Wir müssen besser kommunizieren.“ Oft sei die Behördenpost so umständlich formuliert, dass die Betroffenen gar nicht verstünden, dass sie noch Unterlagen einreichen sollen. Der ganze Erstantrag sei schwierig, der Dienstleistungsgedanke noch nicht ausreichend verankert. Die Mitarbeiter würden ständig geschult – und aus den Zeitverträgen nur die besten auf Dauer übernommen. Rund ein Drittel der 5000 Jobcenter-Mitarbeiter hat Zeitverträge. In Berlin bekommen 436 330 Menschen Leistungen nach Hartz IV.

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