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Berlin: Justiz warnt vor „menschlichen Zeitbomben“

Generalstaatsanwalt Rautenberg schlägt Alarm: Lebensgefährliche Lücke bei Sicherungsverwahrung

Lebensgefährliche Lücke bei Sicherungsverwahrung

Potsdam/Berlin - Es sind nicht viele Gewaltverbrecher, um die es beim Streit um die Sicherungsverwahrung geht. Aber jene, die Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg im Sinn hat, sind äußerst gefährlich: In ostdeutschen Gefängnissen warten – keiner weiß, wie viele es sind – Sexualstraftäter auf ihre Entlassung, die sich in der Haft nicht geändert haben und eine Therapie ablehnten. Es sind, so beschreibt sie nicht allein Rautenberg, „menschliche Zeitbomben“. Noch ist nicht möglich, sie durch nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung unter Kontrolle zu behalten.

Der Mann, der den Anlass bot für Rautenbergs gestern im Tagesspiegel veröffentlichte Warnung vor einer gefährlichen Gesetzeslücke, hat Kinder missbraucht und dafür elf Jahre im Gefängnis zugebracht. Anfang Februar soll er aus einem brandenburgischen Gefängnis entlassen werden. Wo er einsitzt, wohin er sich nach seiner Entlassung orientieren wird – das ist vom Generalstaatsanwalt nicht zu erfahren: Niemand solle an den Pranger gestellt werden, sagt Rautenberg.

Dabei stehen solche Straftäter bei ihrer Entlassung unter enormen psychischen Druck: Sie haben in der Haft nicht gelernt, wie sie in Freiheit mit ihrem Hang zu Sexualverbrechen umgehen sollen. Nur eine Woche dauerte es in Mecklenburg-Vorpommern, bis ein aus der Haft entlassener Vergewaltiger die 16 Jahre alte Carolin missbrauchte und tötete – ein typisches Beispiel für die juristische Lücke, deren Schließung Rautenberg dringend fordert.

Die Rechtslücke betrifft ostdeutsche Häftlinge, und nur Juristen werden sie wirklich verstehen. Der Bundestag hat zwar 2004 beschlossen, dass nachträgliche Sicherungsverwahrung verhängt werden kann. Doch der Bundesgerichtshof entschied darauf hin, dass die Neuregelung nicht für Häftlinge gelten dürfe, die noch zu DDR-Zeiten oder vor einem Stichtag verurteilt worden waren – wie etwa der Mörder von Carolin.

Rautenberg hat den Brandenburger Ministerpräsidenten Matthias Platzeck von der Gefährlichkeit der Rechtslücke überzeugen können. Der bat die Bundesregierung brieflich darum, das Gesetz zu überarbeiten. Längst gibt es einen Entwurf des Bundesrates zur „Stärkung der Sicherungsverwahrung“. Der sieht allerdings gleich grundlegende Veränderungen vor – und vielleicht liegt es daran, dass das Papier seit Mitte Juni 2006 bei der Justizministerin liegt und dort offenbar hin- und hergeprüft wird. Gemeint sind die Häftlinge in ostdeutschen Gefängnissen, die sich in der Haft nicht zu ändern bereit sind und die Therapie verweigern. Die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries teile Rautenbergs und Platzecks Sorge – das gehe aus der Antwort auf Platzecks Schreiben hervor, sagt der brandenburgische Regierungssprecher Thomas Braune. Die Gesetzeslücke sei unbestritten. Offen ist aber, wann die Bundesregierung und der Bundestag sie schließen.

Gemeint sind in dem Entwurf des Bundesrates auch jugendliche Ersttäter, die wegen schwerer Verbrechen zu Haftstrafen verurteilt worden sind. Noch dürfen deutsche Gerichte weder im Westen noch im Osten Sicherungsverwahrung über jugendliche Schwerverbrecher verhängen. Wer als Heranwachsender vor Gericht steht, also nicht älter ist als 21 ist, muss Sicherungsverwahrung nicht fürchten. Das will der Bundesrat ändern, wenn „heranwachsende Täter bereits schwerste oder eine so große Zahl von schweren Straftaten begangen habe“, so der Entwurf. Man könnte an Straftäter wie Ken M. denken, der im Sommer 2005 erst einen jungen Mann schwer verletzte und wenig später den acht Jahre alten Zehlendorfer Jungen Christian ermordete.

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