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Berlin: Käthe Isensee, geb. 1906

Das waren ihre Momente. Wenn sich die Menge staunend teilte, Finger auf sie zeigten.

Das waren ihre Momente. Wenn sich die Menge staunend teilte, Finger auf sie zeigten. Wie an jenem Abend, beim Fasching auf dem Kreuzfahrtschiff. Der erste Auftritt: Käthe Isensee im Henkerskostüm. Zweiter Auftritt: Käthe Isensee im beigen Kleid auf dem Laufsteg. Die rote Schärpe hängte sich die Schönheitskönigin später über das Bett. "Miss TS Maxim Gorki", steht darauf in goldenen Buchstaben. Am Tag ihres Triumphs war Käthe Isensee 80 Jahre alt.

Das war die Zeit der wohl situierten, weltläufigen Käthe Isensee. Aber unkonventionell war Käthe schon als Kind. Sie ruderte im Köpenicker Verein, schwamm im Sommer, lief Ski im Winter. Oder ließ mit ihren Freunden die Straßenbahn entgleisen. Das ging so: Man stelle sich zusammen hinten auf die offene Plattform des Waggons. Hüpfe im Gleichsprung auf und ab. Und renne, was das Zeug hält, wenn der in Schwingungen gebrachte Wagen schließlich aus der Schiene gesprungen ist.

Als Käthe Isensee am Hausvogteiplatz, damals Berlins Modezentrum der Konfektion, in die Lehre ging, hatte sie längst gelernt, vor der Kamera zu kokettieren. In schwarzem Samt, tiefem Dekolleté und hochgestecktem Haar. "1927 mit großem Ballkleid", schrieb sie in ihr Album. Auf den nächsten Seiten verliert Käthe Isensee kein Wort mehr über ihre Gardrobe. Man sieht sie beim Spaziergang, im Urlaub, auf der Terrasse. Im Mantel, Kostüm, Kleid, Rock. Und überall könnte drunterstehen: Alles selbstgemacht. Die Frau hatte eine künstlerische Ader. Mit einem Stapel bunter Servietten verwandelte sie sich in einen Clown, mit einem Laken in ein Burgfräulein.

Käthe Isensee hat es gerne verschwiegen: Vor ihrem Mann, dem Automobilhändler Hans-Heinrich Isensee, gab es schon mal einen Ehemann, nämlich Werner-Wulf. Auch Automobilhändler. Der zweite Automobilhändler war wohl galanter als der erste. Also ließ sich Käthe Isensee scheiden, heiratete 1937 Hans-Heinrich, einen Gentlemen der alten Schule, und tat fortan, als sei nie was gewesen - bis zum 21. Geburtstag ihres Sohnes.

Die Mitteilung über die erste Ehe fiel knapp und sachlich aus. Sie war keine Frau, die sich lange mit Gewissensbissen aufhielt. Mit Zärtlichkeiten übrigens auch nicht. Teddys oder Puppen waren für ihren Jungen tabu. Für alles in seiner Kindheit gab es eine feste Zeit: Topf, Essen, Schlaf. Und was dem Sohn ja offensichtlich nicht geschadet hat, das sollte auch für die Enkel gelten, die mit ihr gemeinsam in der Zehlendorfer Villa lebten. Käthe Isensee beschäftigte alle und machte jedem etwas vor: Schaffte im Haushalt, strich selbst die Wände, polsterte Möbel auf, schuftete im Garten - und winkte am Abend, wenn sich wieder einmal jemand über ihre Energie wunderte, gelangweilt ab. Das ist doch gar nichts, sagte sie dann. "Ich bin drei Mal ausgebombt worden."

Viele Frauen ihrer Generation fanden ihre Erfüllung als Mutter. Käthe Isensee entdeckte sie bei der "Mantel- und Kostüm-Firma Schwabe" am Steinplatz, einem der ältesten und renommiertesten Modellhäuser Berlins. "Schwabe war ihre Zeit, alles andere war unwichtig", sagt der Sohn. Das Haus, das in Berlin als der Inbegriff der exklusiven, damenhaften Eleganz galt, übernahm Käthe Isensee in den 50er Jahren als Modelldirectrice. Als Rücken und Rheuma den täglichen Kleider-Tüv - stimmt die Naht, der Knopf, der Stoff? - nicht mehr aushielten, gab Käthe Isensee auf. Zwei Schrankwände voll mit selbstgenähten Kleidern, Mänteln und Kostümen hat sie hinterlassen, eine Auswahl stiftete sie dem Städtischen Museum.

In ihrer Freizeit blieb Käthe Isensee ein ruheloser Geist, auch als Hans-Heinrich nach 33 Ehejahren starb. Tanzkurse, Kreuzfahrten, Malkurse. Kamen beim Sohn Gäste zu Besuch, platzte Käthe Isensee gerne dazwischen. "Ach, ich habe den ganzen Tag noch nichts zu essen bekommen!" Die guten Freunde der Familie kannten das Ritual schon: Erst ließ sich Käthe Isensee an der Tafel nieder, später präsentierte sie eine Modenschau, danach ihre neuesten Aquarelle.

Käthe Isensee war schon über 80, da grub sie aus dem Telefonbuch eine alte Jugendliebe aus: einen Konfektionssticker aus Kreuzberg. Da war aber nie was, sagte Käthe Isensee - und ließ sich über Jahre jeden Sonntag von ihrem Kavalier zu Kaffee und Kuchen ausführen. Waren ihre Freundinnen eingeladen, erwartete die Frauen ein weniger komfortabler Nachmittag. "Komm, wir waschen heute mal Gardinen!", schlug Käthe Isensee zuweilen vor.

Die Dame starb mit 95 Jahren. Ausgesprochen milde hat aber auch das hohe Alter die geborene Berlinerin nicht stimmen können: Als ihr Cousin wenige Tage vor ihrem Tod noch einmal an ihr Bett trat, beschied da die Hausherrin knapp: "Haare hat der auch keine mehr".

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