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Berlin: Käthe Voss, geb. 1912

Den Schnee, Schnee, Schnee, Schneewalzer tanzen wir", sang Käthe Voss mit ihren drei Enkeltöchtern, wenn sie zu Besuch kamen. Dabei schunkelte sie mit ihnen auf dem Sofa hin und her.

Den Schnee, Schnee, Schnee, Schneewalzer tanzen wir", sang Käthe Voss mit ihren drei Enkeltöchtern, wenn sie zu Besuch kamen. Dabei schunkelte sie mit ihnen auf dem Sofa hin und her. Danach durften die Mädchen all das tun, was ihnen zu Hause bei ihren Eltern verwehrt war: Kleiderschränke durchwühlen, Omis Rubin-Ohrringe anlegen und sie dann, aus Versehen, beim Herauslehnen auf dem Balkon verlieren, ohne dass jemand schimpft. Oder in Omis und Opis Ehebett Zirkuspferd spielen, es fürchterlich zerwühlen, und Omi sitzt ganz vorne, in der Loge und applaudiert. Und wenn eines der Enkelkinder daheim von einer Wespe gestochen wurde und heulend bei Omi anrief, kam sie sofort vorbei. Auf Käthe Voss war Verlass.

Das wussten auch die Mitglieder im "Verein tätiger Lebensabend", in dem Käthes Mann Fritz ehrenamtlich arbeitete. Dem Verein schlossen sich Leute an, die nach ihrer Berufsleben nach einer sinnvollen Beschäftigung suchten. Käthe Voss unterstützte ihren Mann im Verein: Sie verwaltete die Kasse, organisierte Weihnachtsfeiern und Ausflüge. Bei den Feiern bedankten sich die Mitglieder bei der fleißigen Organisatorin, überhäuften sie mit Komplimenten und Blumen. Käthe Voss konnte das genießen. Ein bisschen die grande dame zu spielen, machte ihr Spaß, arrogant erschien sie dabei aber nie.

Ein Genuss waren für sie auch die regelmäßigen Frisör-Besuche. Ein Sektchen, während der Mann ihres Vertrauens ihre vollen, grauen Haare braun färbte und in Form brachte, ein "Leute-Magazin", ein wenig Maniküre: All das hatte natürlich seinen Preis, doch Käthe Voss gönnte sich das. Auf seine schöne Frau konnte Fritz richtig stolz sein. Und wenn sie abends beide zu Bett gingen, hielten sie sich an den Händen, bis sie eingeschlafen waren. Schließlich gehörten sie zusammen. Dieses Glück, zweisam zu sein, hatten sie nicht immer.

Ihr Mann war im Krieg, als Käthe Voss ihre Tochter Hannelore 1940 zur Welt brachte. Drei Jahre musste sie mit ihrem kleinen Mädchen und ihrer Mutter aufs Land flüchten, nach Thüringen. In Saalfeld kamen sie bei einem Gärtner unter. Ein kleines, schäbiges Zimmer, zwei Betten und ein Kohleherd - so sah nun ihre neues Zuhause aus. Und dann immer diese versalzene Suppe, die sie im nahe gelegenen Gasthof vorgesetzt bekamen. Irgendwann reichte es Käthe Voss, und sie fing an, für sich und ihre Tochter selbst auf dem kleinen Kohleherd zu kochen. So verging die Kriegszeit, nur alle paar Monate trudelte ein Brief oder ein Kärtchen von ihrem Mann ein. "Ich werde wiederkommen" - diesen Satz schrieb er immer. Doch wann? Käthe Voss schwärmte derweil bei langen Spaziergängen ihrer Tochter vor, wie liebevoll und lustig der Vater sei. Nach Kriegsende kam Fritz in russische Kriegsgefangenschaft. Auch von dort schrieb er immer wieder, und so lange er schrieb, wusste sie, dass alles gut werden würde.

Doch zunächst musste Käthe Voss noch für einige Jahre allein für ihre Tochter sorgen. Im Frühjahr 1946 reiste sie wie viele andere geflüchtete Frauen nach Berlin zurück, um ein neues Zuhause zu finden - zunächst ganz alleine. Ihre einstige Wohnung war ausgebombt. Wo also hin mit Mutter und Tochter? Drei Monate dauerte es, bis Käthe Voss wieder nach Thüringen fahren und die kleine Hannelore samt Oma nach Berlin holen konnte. Noch Jahre später erinnerte sie sich an den herrlichen Duft der Lindenblüten, der in der Luft lag, während der Zug Richtung Berlin zuckelte. Sie zogen in ein kleines Häuschen in Siemensstadt, das ihnen zugewiesen wurde, und Käthe Voss bekam bald eine Stelle als Sekretärin im "Zentralnachweiseamt für Kriegerverluste und Kriegergräber". Dort, wo die Frauen hinkamen, die ihre Männer seit dem Krieg vermissten. Nach Dienstschluss wartete Hannelore an der S-Bahnstation Siemensstadt auf ihre Mutter. Dann schlenderten beide nach Hause und erzählten sich, was sie tagsüber erlebt hatten.

Eines Tages, im November 1949 durfte Käthe Voss früher Feierabend machen. Ihr Ehemann war endlich heimgekehrt. Sie gab bald ihren Beruf auf, widmete sich ganz der Tochter und dem Haushalt. Vielleicht hat sie es tief im Innern doch ein wenig bedauert, dass sie wieder Hausfrau wurde. Jedenfalls war sie richtig stolz, als ihre Hannelore Medizin studierte und sich dann sogar Doktor nennen durfte.

Obwohl Käthe Voss liebend gerne Geburtstage und Jubiläen feierte, wurde es ihr 1997 zum 60-jährigen Bestehen ihrer Ehe, der Diamanten-Hochzeit, doch ein wenig mulmig. In der Wohnung erneuerten Handwerker gerade die Rohre, und überhaupt, der ganze Stress. Doch der Moment, als sie mit ihrem Mann in Nikolskoe, in der Ausflügler-Kirche St. Peter und Paul, noch einmal vor dem Altar stand, dort wo sie vor genau 60 Jahren geheiratet hatte, gehörte zu den schönsten in ihrem Leben. Wie ein junges, frisch vermähltes Paar, freudestrahlend, verließen sie die Kirche und liefen Arm in Arm zur Feier ins Haus nebenan.

Zwei Jahre später verließ ihr Mann sie für immer. Er starb ganz plötzlich. Bemüht, es den anderen nicht zu zeigen, fühlte sie sich fortan sehr einsam. Doch Käthe Voss lebte ihr Leben weiter. Sie hörte ihren mittlerweile erwachsenen Enkeltöchtern zu, wenn sie Kummer hatten, und ließ sich von ihrem Frisör alle paar Wochen die Haare richten. Eine gepflegte Erscheinung, das wollte sie immer sein. Als sie nach dem Herzinfarkt zur Beobachtung auf der Intensivstation lag, zog sie sich die Lippen nach.

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