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Berlin: Kampf für ein Idyll

Halensee. Die Kleingartenkolonie macht den Hund schläfrig.

Halensee. Die Kleingartenkolonie macht den Hund schläfrig. Immer kleiner werden seine Augen, obwohl er hellwach sein müsste bei dem, was Frauchen gerade erzählt. „Die Gärten hier sollen alle verschwinden. Es ist ein Jammer. Die sind ja schon hundert Jahre alt.“ Gisela Tetteh steht auf dem schmalen, nur für Schlüsselinhaber erreichbaren Fußweg neben der Bahntrasse nahe dem Westkreuz und blickt über die verwaiste Laubenkolonie. 41 Gärten an dem Hang zwischen Wohngebiet und dem kaum befahrenen S-Bahn-Gleis von Halensee nach Charlottenburg, die Pachtverträge sind seit April gekündigt, die Lauben verlassen. Demnächst sollen sie abgebaggert werden, damit auf dem Terrain gleich mehrere Märkte gebaut werden können: Aldi, Lidl, Getränke Hoffmann und Schlecker. „Das darf ich meinem Hund gar nicht erzählen, dass wir hier bald nicht mehr ins Grüne kommen“, sagt Frau Tetteh.

Deutlich aktiver als ihr Hund ist eine Bürgerinitiative ns „Verkehrschaos Halensee“. Ein Zusammenschluss von Anwohnern des beschaulichen Wohnviertels neben der Kolonie am westlichen Ende des Kurfürstendamms. Sie wollen die Bauvorhaben verhindern. Sie trauern nicht nur den Gärten vor ihrer Haustür nach, sie sehen vor allem eine Blechlawine auf sich zurollen. Täglich knapp 4000 Kunden, fürchten sie, werden durch die engen Straßen fahren. Hin und zurück – mache 8000 Fahrten am Tag. Hinzu kämen Lastwagen, die die Märkte durch die Heilbronner oder die Georg-Wilhelm-Straße beliefern. Dort bremsen Schwellen im Asphalt die Autos, nachdem dort vor Jahren zwei Kinder überfahren worden waren. Auch die schmale Ein- und Ausfahrt vom Kurfürstendamm über den Henriettenplatz signalisiert Autofahrern, dass sie hier allenfalls geduldet sind.

Außer den Anwohnern fragt sich auch das Bezirksamt, wie das Wohngebiet den zusätzlichen Verkehr verkraften soll. Antworten erhofft sich der Charlottenburg-Wilmersdorfer Baustadtrat Klaus-Dieter Gröhler (CDU) von einem Verkehrsgutachten, das diese Woche vorliegen soll. Der Bezirk hatte das Gutachten beim Bauantragsteller, der Hapag Grundbesitz GmbH, in Auftrag gegeben, nachdem die Bezirksverordneten im Februar einstimmig gefordert hatten, „die durch die Investitionsvorhaben (. . .) drohende Zerstörung des Wohnquartiers südlich der Heilbronner Straße zu verhindern“. Vorbehaltlich dieses Gutachtens muss der Bezirk nach Auskunft von Gröhler das Vorhaben auf jeden Fall genehmigen, weil Einzelhandel im betroffenen Gebiet prinzipiell zulässig ist. Zwar stamme der rechtliche Rahmen aus den Jahren 1958 bis 1960, aber der Bezirk dürfe den Investor jetzt nicht durch politisch motivierte Schachzüge matt setzen – „dann würden wir uns vor dem Verwaltungsgericht treffen“, sagt Gröhler. Und die Frage, ob es gleich vier Märkte sein müssen – zumal gegenüber eine Reichelt-Filiale existiert –, „habe ich nicht zu bewerten“, sagt der Baustadtrat.

Die Genehmigung zum Bau des Lidl-Marktes ist schon erteilt; die anderen hängen vom Verkehrsgutachten ab. Bernd Pagel, Geschäftsführer der Hapag Grundbesitz GmbH, ist optimistisch: Preiswerter Einzelhandel sei sehr gefragt und die von der Bürgerinitiative errechnete Verkehrsbelastung „einfach Quatsch. Es wird nicht mal ein Viertel von diesen angeblich 8000 Autofahrten sein. Also muss auch kein Verkehr über den verkehrsberuhigten Henriettenplatz abgewickelt werden“. Auch der Lieferverkehr sei unerheblich – nur Lidl und Aldi würden überhaupt täglich versorgt, zu den anderen Supermärkten käme bloß zwei-drei Mal pro Woche ein Lkw.

Gisela Tetteh weckt ihren Hund. „Es gibt viele seltene Vögel hier. Zaunkönige und Nachtigallen zum Beispiel“, sagt sie und spaziert weiter zwischen den Gärten, in denen sich die Natur ungestört ausbreitet, seit die Laubenpieper weg sind. „Ich finde es spannend, wie alles verwildert, wenn man es in Ruhe lässt“, sagt sie, die selbst ein Grundstück hier hatte. „Aber ich ertrage es nur deshalb, weil ich woanders noch einen Garten habe.“Stefan Jacobs

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