zum Hauptinhalt
Zerknirscht auf der Regierungsbank: Frank Henkel und Michael Müller haben sich nicht mehr viel zu sagen.

© imago/Christian Ditsch

Kampf ums Rote Rathaus: Berlin ist stark, die Landespolitik ist schwach

Die Stadt wächst und strahlt global, doch die Politik bleibt piefig. Der Senat ist zerstritten, die Opposition zu brav. Eine Analyse.

So stark wird er nie wieder sein. Nur eine Hand hob sich gegen ihn. Fast einstimmig ist der Innensenator und CDU-Landeschef Frank Henkel zum Spitzenkandidaten für die Wahl am 18. September gewählt. Das muss man erst mal schaffen. Vor allem nach einer Woche, die für Henkel, gelinde gesagt, eine mehr als schwache war.

Einhundert Prozent Zustimmung hat noch niemand geschafft. Der letzte Kandidat der CDU vor der Ära Henkel bekam 2006, als Hoffnungsträger, der die desolate Union wieder ins Rote Rathaus bringen sollte, 97 Prozent. Der glücklose Kandidat hieß Friedbert Pflüger. Bei der Wahl kam er auf 21, 3 Prozent – das zweitschlechteste CDU-Ergebnis in Berlin. Heute würde sich Henkel über 21 Prozent freuen. Derzeit werden seiner CDU nur 19 Prozent zugetraut.

Das ist die Zahl, die wirklich zählt und sie ist ein Desaster nach fünfjähriger Regierungsverantwortung. Die einmütig erhobenen Hände für den Spitzenkandidaten sind deshalb nicht das Signal einer entschlossenen und geschlossenen Partei. Sie drücken vielmehr aus, was die berühmte Alternativlosigkeit von Angela Merkel für den Landesverband heißt: Mit Frank Henkel haben wir keine Chance, aber auch keinen anderen Kandidaten.

Der Slogan "Starkes Berlin" ist Wunschdenken

Verkaufen, dafür hat Ex-Werbeprofi und Justizsenator Thomas Heilmann gesorgt, kann sich Berlins CDU wirklich besser. Das hippe Umspannwerk in Mitte als Tagungsort des Parteitags war ein kluger Zug. Doch nichts ist zu spüren von der elektrisierenden Energie, für die der Ort steht. Unter Strom gesetzt hat Henkel seine Truppe nicht. Der Wahlkampf-Slogan „Starkes Berlin“ ist bloßes Wunschdenken, was die eigene Stärke angeht.

Wie viele Gegenstimmen gegen den Kandidaten zusammengekommen wären, wenn geheim abgestimmt worden wäre, ist Gedankenspiel. Mehr erzählt über die innere Verfasstheit der Partei, dass noch Ende 2015 alle Kreisvorsitzenden bei der Staatsministerin für Kultur anfragten, ob sie nicht Kandidatin werden wollte. Monika Grütters lehnte ab. Die Gestaltungsfreude, die sie in ihrem Job zeigt, und dabei viel für Berlin leistet, mag eine Rolle gespielt haben. Wenig motivierend war wohl auch, dass in der CDU nicht wenige mit der eloquenten Grütters fremdeln. Im Wahlkampf aber wäre Monika Grütters, die für Kultursinn, Diskursfreude und das neue Berlin steht, eine echte Herausforderung für Michael Müller gewesen, das Versprechen einer bürgerlich-liberalen Großstadtpartei. Welch Ironie: Genau dies hatte man einst auch Henkel zugetraut, als er nach der Wahl 2011 mit Schwung die rot-schwarze Koalition enterte: eine neue Mischung aus Bürgersinn, sicherer Stadt und großstädtischer Liberalität.

Berlins Politik unterbietet sich im piefigen Provinzialismus

Deshalb sind die vergangenen fünf Jahre so enttäuschend. Es bleibt Henkels Verdienst, die nach dem Bankenskandal von 2001 gerupfte und zerstrittene Partei wieder geeinigt zu haben. Das aber ist zu wenig, ist bloße Vergangenheit, keine Zukunft. Von den Höhenflügen in der Wählergunst, als die CDU etwa 2014 vor dem Rücktritt von Wowereit sogar bei 30 Prozent lag und damit weit vor der SPD, mag niemand mehr sprechen.

Es wäre mehr drin gewesen. Doch die Chancen, die sich der Union boten, wurden kaum genutzt. Schwarz blieb blass. Keine einzige Initiative ist erinnerlich, die Berlin bewegte. Mehr als unauffällige Pflichterfüllung und Graubrot war nicht. Keine Entschuldigung ist, dass sich die CDU im Niveau den Sozialdemokraten angepasst hat. Dass Berlin eine globale Marke geworden ist, steht im schreienden Gegensatz zu seiner politischen Führung, die sich im piefigen Provinzialismus gegenseitig zu unterbieten versucht. Aber nicht einmal der Befund der Wahlforscher, dass keine Landesregierung so unbeliebt ist wie der Berliner Senat, hat am Kabinettstisch Energien frei gesetzt.

Michael Müller nimmt jede Kritik übel und verschanzt sich

Wir müssen reden. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller und sein Senatskanzleichef stehen wegen der Affäre um die Beschäftigung von externen Beratern in der Kritik.
Wir müssen reden. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller und sein Senatskanzleichef stehen wegen der Affäre um die Beschäftigung von externen Beratern in der Kritik.

© Jörg Carstensen/dpa

Die globale Ausstrahlung Berlins, die Bedeutung als Metropole für Kultur mit Hipness-Faktor, die enorme Anziehungskraft als Zentrum der Start-up-Szene und der neuen Technologien wird konterkariert durch eine unfähige und verkarstete Bürokratie. Berlin mit wachsender Wirtschaft, sinkender Arbeitslosigkeit und enormem Bevölkerungswachstum ist eine Erfolgsgeschichte, die sich nahezu ohne Zutun der Politik vollzogen hat.

Müllers Attacken zeigen die Zerrüttung der Koalition

Henkels Tiefpunkt der vergangenen Woche war sein Nicht-Auftritt bei den „Tagesthemen“ zum Thema Kriminalitätsbelastung in Berlin. Trotz mehrerer Terminangebote für ein Interview kniff Henkel. Dafür nahm Müller als Ersatzmann die Vorlage dankbar an, seinen Innensenator aufzufordern, endlich seiner Aufgabe für eine sichere Stadt nachzukommen. Peinlich. Es erinnerte aber daran, dass Henkel auffällig oft auf Reisen und nicht präsent war, wenn er in Berlin Stellung hätte beziehen müssen.

Müllers Attacke ist typisch für die Zerrüttung der Koalition. Der Ton ist rau, und wird bis zur Wahl noch rauer werden. Unvergessen die Wutrede des Regierenden Bürgermeisters Ende 2015, als er Henkel und Sozialsenator Mario Czaja in der Flüchtlingskrise herunterputzte. Seitdem ist das Tischtuch zerschnitten. Aber Angriffslust? Auf dem Parteitag bettelte Henkel fast darum, dass „wenigstens die Spitzenleute beider Parteien sich nicht gegenseitig angehen sollten“ und er sich „einen souveräneren Umgang des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller mit mir gewünscht“ hätte. Henkels Ansage – „Ich trete nicht an, um Zweiter zu werden“ – macht das nicht glaubwürdiger.

Dabei war Henkel ins Amt gestartet mit klarem Profil als durchsetzungsfähiger und zupackender Innensenator. Als Mann zum Aufräumen. Nach fünf Jahren hat sich das Bild einer eigenartigen Verzagtheit verfestigt, die im Gegensatz zur demonstrativen Robustheit steht. Henkel wirkt wie einer, der Dinge häufig treiben lässt, in Machtkämpfen im Senat oft unterlag, und nur manchmal in Aktionismus verfällt wie beim Kleinkrieg gegen die Besetzer in der Rigaer Straße. Seine Erfolge einer personellen und finanziellen Stärkung der Polizei und Feuerwehr werden darüber vergessen. Dafür hängt Henkel die Verantwortung für eine Verwaltung an, die im vorelektronischen Zeitalter verharrt und Berlinern in den Bürgerämtern eine Service-Katastrophe zumutet.

SPD-Senatoren fallen als Underperformer auf

Es ist das Drama der begabten Stadt. Ein Regierender Bürgermeister, der jede Kritik übel nimmt und die Senatskanzlei zunehmend als Wahlkampfzentrale sieht, in der er sich mit wenigen Vertrauten verschanzt. SPD-Senatoren, an die man sich nur erinnert, wenn sie bei der Problemlösung mal wieder als Underperformer auffallen wie Schulsenatorin Sandra Scheeres oder Dilek Kolat, bei der man vergessen hat, dass sie Integrationssenatorin ist. Einziger SPD-Aktivposten ist Bausenator Andreas Geisel – der ist aber auch am kürzesten im Amt.

Das gleiche Bild bei der CDU-Riege. Sozialsenator Mario Czaja gilt als Versager in der Flüchtlingskrise, vom Regierenden Bürgermeister Müller gemobbt und zum Buhmann für das Lageso-Desaster gemacht – dabei nur halbherzig von Henkel verteidigt. Justizsenator Thomas Heilmann ist ein guter Verkäufer seiner selbst und gut für flotte Ankündigungen, die schnell wieder abebben. Und dass es eine CDU-Wirtschaftsenatorin Cornelia Yzer gibt, haben trotz deren eifriger Betriebsamkeit die wenigsten Berliner gemerkt.

Die Option Schwarz-Grün ist perdu

Die Opposition ist nicht besser. Die Linkspartei bettelt darum, wieder mit der SPD regieren zu dürfen. Die Piraten sind abgetaucht. Und die Grünen möchten nach dem Trauma Wowereit, der sie zweimal kalt abservierte, endlich im Senat dabei sein. Da stören politische Initiativen nur, die die SPD verärgern könnten.

Der Regierende Bürgermeister hat es inmitten vieler Schwacher geschafft, sich als glaubwürdiger Sachwalter des ehrbaren Bemühens bis weit in die CDU-Wählerschaft hinein darzustellen. Auch wenn die Werte sinken; als stärkste Partei hat die SPD alle Optionen bei der Senatsbildung. Die CDU hingegen steht allein. Mit der Linken geht gar nichts. Auch die Option Schwarz-Grün ist perdu: Daniel Wesener, einer aus dem Grünen-Wahlkampf-Spitzenquartett, schloss diese Möglichkeit am Wochenende aus. Eine gemeinsame Basis mit den Grünen zu finden, wie es möglich gewesen wäre, hat Frank Henkel versäumt und verhindert – auch durch gelegentlich brachial-konservative Ausfälle. Nun wirbt die Grüne Spitzenkandidatin Ramona Pop selber offensiv um die bürgerliche Klientel. Und die AfD setzt absehbar ihren Höhenflug fort.

Trotz Klatsch-Ovationen bei der Krönungsmesse für Henkel ist Fatalismus angesagt. Stärkste Partei? – daran glaubt niemand in der CDU. Gehofft wird, dass es weder für Rot-Rot oder Rot-Grün reicht. Dann wird die CDU bereit stehen; Katzentisch ist besser als nichts. Nur für Berlin ist das schlecht. Übrigens: Der CDU-Slogan lautete 2011: „Damit sich was ändert“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false