zum Hauptinhalt

Berlin: Kanzler kehrte den Kollegen raus

Keine Buh-Rufe, keine Pfiffe: Wie Gerhard Schröder die Müllmänner der BSR für sich gewann

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Sollte es in Berlin noch eine Arbeiterklasse geben, dann war sie gestern im ICC. Etwa 1500 Müllwerker trafen sich zur Personalversammlung im Saal 2, in dem nächste Woche die „Lustigen Musikanten“ aufspielen. Doch erst einmal kam der Kanzler, so gegen halb zehn, um den Leuten von der Stadtreinigung in schweren Zeiten Mut zu machen. Mit Handschlag begrüßte Gerhard Schröder jeden der 15 Männer auf dem Podium und klopfte dem stämmigen Personalratschef Hans-Günter Zimmer auf die Schultern.

„Liebe Kolleginnen und Kollegen“, sagte der Bundeskanzler. „Oooh“, raunte es im Saal. Ein Kollege spricht zu uns. Freundlicher Beifall durchspülte den Saal. Keine Buh-Rufe, keine Pfiffe. Eine Taschenkontrolle am Eingang gab es nicht. „Da hätt’ ick ja allet mitbringen können. Eier oder so“, frotzelte einer der Müllmänner in Jeans und kariertem Hemd. Aber das war nur Spaß. Ein anderer drängelte sich nach vorne, weil er „det zaknitterte Jesicht von dem Schröder“ mal aus der Nähe sehen wollte. Die BSR, Abteilung Abfallwirtschaft, ist stolz darauf, den Berliner Dialekt noch zu beherrschen. Nach seinem Auftritt bekam der Kanzler ein oranges T-Shirt mit der Aufschrift geschenkt: „I kehr for you.“ Mit einer großen Nummer 1 auf dem Rücken, als gehe es um Fußball. Aber davon später.

Erst einmal ging es um Politik. „Hier sitzen Menschen, deren Verunsicherung stark gestiegen ist“, klagte der Personalratsvorsitzende Zimmer. Die Arbeitnehmer hätten viele Fragen, auf die Schröder eine Antwort geben müsse. Der spazierte ans Mikrofon und hob die Herausforderung der Globalisierung hervor. Die andere Herausforderung sei: „Wir leben länger und haben weniger Kinder.“ Es gebe keine Patentrezepte. „Aber es kann nicht so bleiben wie es ist.“ Bei den Bürgern gebe es auch Veränderungsbereitschaft.

Und bei den Müllwerkern? Keiner muckte auf. Als der Bundeskanzler offenbarte, dass er „gegen die totale Privatisierung kommunaler Dienstleistungen“ ist, wurde es im Saal geradezu heiter. Schröder legte nach: „Hände weg von der Mitbestimmung“. Das Streikrecht sei „urdemokratisch“ und der wachsende Weltmarktanteil deutscher Unternehmen ein Zeichen dafür, „dass die Tarifautonomie funktioniert“. Wieder versprach der Kanzler genügend Ausbildungsplätze. Es sei alles hinzukriegen. „Am liebsten mit Unterstützung derer, denen ich mein Leben lang nahe gestanden habe.“

Dann griff er noch das Sprüchlein des Personalratschefs auf, dass die BSR eine starke Truppe sei, „mit der man die Fußball-WM 2006 gewinnen könnte“. Ja, das glaubt Schröder gern. „Aber kümmert euch erst einmal um Hertha BSC.“ Spätestens jetzt waren sich alle einig, dass der Kanzler ein prima Kumpel ist. Aber es drängte die Zeit. „Ich muss jetzt zu Johannes Rau ins Krankenhaus.“ Der Kollege in der vorderen Reihe war beeindruckt. „Zack, zack, weg isser. Der hat bestimmt ’nen Zwölfstundentag.“ Die BSR-Männer machten erst einmal eine vergnügte Zigarettenpause.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false