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Berlin: Kanzler unterkühlt, Stoiber erdverbunden

Wähler erreicht, Wähler verfehlt? Wie Richard Wehler, Chef der Werbeagentur Motus, die Plakate der Parteien bewertet

Von Thomas Loy

Die CDU zeigt sich erdverbunden, menschlich, die SPD und ihr Kanzler bleiben kühl und unnahbar, pflegen die Aura der Macht, die Grünen sind witzig, aber viel zu komplex, die FDP eindeutig zu matschig und die PDS - „hhm“ - die PDS ist noch gar nicht da. Wenn es nach den Plakaten zur Bundestagswahl ginge, müsste Werbeprofi Richard Wehler CDU wählen. Der Chef der Agentur Motus, jüngst durch die Ahorn-Grieneisen-Kampagne zur Belebung der Trauerkultur bekannt geworden, findet einfach keinen Fehler an dem neuen Doppelkopf-Poster mit CDU-Chefin Merkel und Unionskandidat Stoiber, einander lächelnd zugewandt. Allein der „Claim“ - das ist Werbefachsprache und steht für den Slogan neben dem Parteilogo - also der CSU-Claim „Zeit für Taten“ ist zu klein und unleserlich. Mit den Claims hätten alle Parteien ihre Schwierigkeiten, kritisiert Wehler.

Eine Plakaterkundungstour zwischen Mauerstraße und Großem Stern: Erster Blickfang ist „BÜSO“, die Bürgerrechtspartei mit ihrer Kandidatin Helga Zepp-LaRouche und der drohenden Zeile „Finanzkrach und Kriegsgefahr". Wehler ist amüsiert: „Ästhetisch eine Katastrophe.“ Blau auf Orange - ein „unangenehmer Kontrast". Das Foto der Kandidatin erinnert Wehler an die leblosen Gesichter aus Passbildautomaten. „Keine Atmosphäre, kein Esprit, keine Positionierung in den Aussagen.“ Dennoch muss Wehler zugestehen: Auch negative Optik fällt auf.

Wir fahren durch die werbefreie Tiergartenstraße zur Hofjägerallee. Dort hängen die Kandidaten wie Weihnachtsschmuck an den Laternen. Am Boden grüßen die Wahlpräsente der Grünen - zuallererst drei Gartenzwerge, verkleidet als Könige aus dem Morgenland. Darüber steht „Bunte Republik Deutschland.“ Wehler ist diesmal angenehm amüsiert, aber zugleich skeptisch. „Die Grünen verlangen viel Nachdenken“ – und wer kann das schon bei dem Verkehr. „Ein Profifoto mit schön retouschiertem Wolkenhimmel, sehr plakativ, aber zu spaßig. Das schreckt viele Leute ab. Eine Bundestagswahl ist eben nichts Spaßiges.“ Gut findet Wehler das aggressive Grün und den Claim: „Grün wirkt.“ „Das eröffnet viele Assoziationsebenen.“ Weiter oben, an den Laternen, konkurrieren Jörg-Otto Spiller (SPD) und Volker Liepelt (CDU) um einen kurzen Seitenblick der Autofahrer. Liepelt hängt höher - ein symbolischer Vorteil, urteilt Wehler, und zugleich ein ganz banaler: Abends bekommt Liepelt mehr Laternenlicht ab. Und er lächelt offener, vor einem belebten, hellen Hintergrund. Auch das CDU-Logo kommt frischer rüber. Spiller wirke dagegen statisch und unpersönlich, sagt Wehler. Werbegrafisch ist das Duell Spiller-Liepelt schon entschieden.

Dann drängen sich wieder die spaßigen Grünen-Plakate in den Focus, etwa das mit der jungen Frau, die ihren hingestreckten Freund als Fußablage nutzt. „Die Hälfte der Macht den Männern.“ Ein gut komponiertes Werbefoto, aber in der Aussage sehr riskant, meint Wehler. Fast männerfeindlich. Und zu intellektuell.

Da tut es gut, mal nach der FDP zu schauen. Am Großen Stern ist Guido, der Kanzlerkandidat, zu sehen, wie er leger gekleidet an einem Baum lehnt. Emotion pur, auch die Textzeile verlangt nicht viel: „Die neue Generation für Deutschland.“ Gelb auf Schwarz - schöner Kontrast, lobt Wehler. Nur leider ist das Foto schwarz-weiß. „Hatten die kein Geld mehr für Farbe?“ Dann wirke das Foto auch noch matschig - die Kontraste fehlten. Kanzlerkandidat Westerwelle komme eher als „Schulbub“ rüber. Der Entscheidung für Schwarz-Weiß kann Wehler nur zugute halten, dass sich die FDP von den anderen Plakaten klar absetzt.

Nördlich der Siegessäule haben sich CDU und SPD großformatig platziert. „Gemeinsam für Deutschland“, lächeln Merkel und Stoiber im Breitband-Kino-Format. „Einfache, harmonische Bildsprache. Ein Mann und eine Frau gemeinsam, damit sind 100 Prozent der Bevölkerung angesprochen. Warme Farben, Erdtöne. Helle Gesichter, lebensbejahend. Der Text lässt keine Assoziationskompromisse zu.“ Wehlers Gesamtnote: Sehr gut. Leider wurde Stoiber mit einer Kritzelei schon etwas verunstaltet. Ein Stück weiter nochmal Stoiber-Merkel, diesmal mit der Zeile: Aufschwung beginnt mit den Köpfen. Nicht ganz so perfekt, findet Wehler. „Mit den Köpfen“ lässt den makabren Gedanken zu, irgendwo würden Köpfe rollen. Und dann schaut sich das ungleiche Paar geradezu verliebt, fast anbiedernd in die Augen. Das lenkt doch etwas vom Thema ab.

Nebenan, der Kanzler, auch ihn hat ein Wähler manipuliert - mit einer Art Pappnase. Sowas zerstört jede Bildkomposition. Auch ohne Nase ist Wehler nicht wirklich angetan. Schröder hat die Augen niedergeschlagen. Er arbeitet konzentriert bei künstlichem Licht. Sein Büro versinkt in tiefes Schwarz. Ein tolles Foto, findet Wehler, aber „zu düster". Der Kanzler ist nicht bei seinem Volk. Das zweite Kanzler-Plakat erregt auch Widerspruch. Schröder im Auto beim Telefonieren. Wieder abgeschottet, unnahbar, in der Pose des Managers. „Fast bedrohlich“, findet Wehler. Und dann der weiße Balken, mitten durch den Kanzler geschoben: „Deutschland modernisieren heißt für mich auch, die soziale Gerechtigkeit zu erhalten und auszubauen.“ Viel zu lang, im Stil formal, die Buchstaben zu schmal gedruckt, für den Autofahrer undurchlesbar. Wehler ist enttäuscht.

Reichlich Plakate gibt es in der Friedrichstraße, aber nichts, was einen Werbestrategen zur Stellungnahme reizt. Dann doch ein Aufschrei des Entzückens. An der Kreuzung Kochstraße steht einsam ein Aufsteller mit nichts als strahlendem Marinblau und darauf die schlichten Worte: "Schröder wählen.“ Richard Wehler ist begeistert. „Wie ein Imperativ, fast im Generalston.“ Nicht auch ein Hilfeschrei? Nein, diese Assoziation hat er ganz und gar nicht. „Eines der besten Plakate.“

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