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Berlin: Karl-Heinz Hillmann (Geb. 1938)

Der Vater war Bäcker. Und irgendwann sogar stolz auf seinen Sohn.

Mut? Der Vater war mutig. Nicht von Berufswegen. Von Berufswegen war er Bäcker. Auch das nicht aus Leidenschaft, lieber wäre er Landwirt geworden, aber die Familientradition verpflichtete. Das hatte in seinem Fall sein Gutes. Als der Krieg begann, war er unabkömmlich, weil zuständig für die Volksernährung. Je näher der „Endsieg“, desto schlechter die Versorgungslage. Bäckermeister Hillmann half, wo er konnte. Und als Bekannte ihn baten, ein jüdisches Ehepaar, die Frau hochschwanger, in der Backstube zu verstecken, zögerte er nicht, obwohl einer seiner Gesellen ein Nazi war.

Georg Hillmann war ein Mann der Tat, den Worten misstraute er, und so sah er es mit Unbehagen, dass der mittlere seiner Söhne gern las. Immer wenn Zeit war, griff sich Karl-Heinz aus dem großen Schrank, den der jüdische Maler aus dem Dachgeschoss zurückgelassen hatte, ein Buch. „Müßigang“, grollte der Vater, „lieber mal den Hof kehren.“ Dass der Sohn ein wenig anders war, hatte der Bäckermeister schon früh bemerkt, und so war Karl-Heinz für den Kaufmannsberuf vorgemerkt; die anderen beiden würden den Backbetrieb weiterführen.

Der Sohn rebellierte, auf stille Weise. Er setzte es durch, dass er die Realschule besuchen durfte, obwohl die Lehrer die Hauptschule für einen Bäckerjungen ausreichend fanden. Er paukte ohne Unterlass Französisch, um auf einer privaten Oberschule das Abitur machen zu können. Von 113 kamen 25 durch.

Er schrieb sich an der Universität ein, unter anderem in dem gerade neu geschaffenen Fach Soziologie. „Ach, der Bibelforscher “, winkte der Vater ab, wenn er auf die Umtriebe seines Sohnes angesprochen wurde.

Karl-Heinz fuhr jeden Samstag Brötchen aus, um seine Studiengebühren abstottern zu können. Er aß nicht in der Mensa, fuhr nicht mit den öffentlichen Verkehrsmittel. Und er ließ Antje, die Liebe, seines Lebens warten. Im Winter 1962 hatte er sie kennen gelernt, auf einer Kellerparty. Und damit er sie allein nach Hause bringen konnte, schloss er alle anderen Gäste einfach im Keller ein. 1968 folgte die Verlobung, 1970 die Hochzeit, die sich Antje zusammengespart hatte, in Weiß, mit Kutsche – und die dann doch der Schwiegervater beglich.

Der Sohn war jetzt Doktor, bekam eine respektable Stelle an der Universität Würzburg, und der Vater kam nicht umhin, stolz zu sein.

Der Sohn wiederum schlug Bäckermeister Hillmann fürs Bundesverdienstkreuz vor; doch da alles seinen behördlichen Gang ging, konnte ihm der Orden nur mit ins Grab gegeben werden.

Das Leben in der fränkischen Universitätsstadt war nicht einfach, trotz der begeisterten Studenten. Die akademischen Ränkespiele gipfelten in der Besetzung des lange vakanten Lehrstuhls der Soziologie mit dem Franz Josef Strauß-Vasallen und „Doktorhut-Fabrikanten“ Lothar Bossle, der die Studentenschaft nicht zum Studieren, wohl aber zum Reimen animierte: „Oh mir tun die Augen weh, wenn ich nur den Bossle seh!“

Karl-Heinz Hillmann war kein Parteigänger, auch kein Kostümträger soziologischer Moden. Er hatte seinen Stil bei Freud und Nietzsche geschult, und scheute vorsätzliche Verunklarungen. „Die Umwertung der Werte als Strategie des Überlebens“, das war sein denkerischer Ansatz, da brauchte es klare Worte. Sein enzyklopädisches Großprojekt war von daher nicht zufällig das von seinem Lehrer Günter Hartfiel übernommene „Wörterbuch der Soziologie“, das er gemeinsam mit seiner Frau zu einer fünften Auflage führte, lange nach der Pensionierung. Drei Jahre Überarbeitungszeit, dann gönnten sie sich eine fünfmonatige Reise um die Welt, von der er schwerkrank zurückkam. Ob er ein mutiger Mann war? „Auch der Mutigeste von uns“, gesteht Nietzsche, „hat nur selten den Mut zu dem, was er eigentlich weiß.“ Und den besaß er, das wusste sein Vater am besten. Gregor Eisenhauer

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