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Karneval: Durch die Straßen mit Fantasie und Farbe

Sommer, Sonne, Straßenumzug - der Berliner Karneval der Kulturen überrascht mit originellen und aufwändigen Kostümen. 4500 Künstler aus 80 Nationen sind dabei.

Es ist schwer, aus dem Straßenumzug des Berliner Karnevals der Kulturen so richtig herauszustechen. Die 101 Gruppen übertrumpfen sich bei Farbigkeit und Fantasie ihrer Kostüme gegenseitig. "Genau das machen wir nicht", sagten sich die Macher des schlesischen Projektes Via Sudetica. Stattdessen rieben sich alle 100 Mitglieder am ganzen Körper mit hellem Lehm ein - dem Grundstoff für das Markenprodukt ihrer Heimat: Bunzlauer Keramik. "Damit repräsentieren wir das Kulturprogramm von Bunzlau und machen gleichzeitig Werbung für die Keramikstadt", sagt Sudetica-Sprecher Axel Eisenblätter. Schließlich gebe Lehm nicht nur schönes Geschirr ab, sondern sei, an den Körper geschmiert, auch gesund. Seine polnischen Freunde, die mit der Lehmkruste auf der Haut wie Urmenschen aussehen, nicken zustimmend und berichten begeistert vom Lehmbad, das sie sich daheim dreimal wöchentlich gönnen. Zugleich haben sie Glück, dass ihnen kein Regen den Lehm von der Haut wäscht. Anders als in den vergangenen Jahren strahlt in diesem Jahr die Sonne über dem Umzug.

Barbusige Madonna

Während sich die Schlesier gegenseitig mit Lehm zukleistern, sitzt Jirí auf einem Stromkasten am Neuköllner Hermannplatz und schnürt seine Stelzen. Der Prager Schauspieler wird einen Harlekin geben, der wiederum Teil des "Hura Echt Street Puppet Theatre" ist, das Engel, Tod und Teufel durch die Straßen schickt. Die insgesamt zehn Akteure haben vor kurzem mehrheitlich die Prager Theaterakademie Damu beendet. Jetzt stehen sie an zweiter Stelle des kilometerlangen Berliner Umzuges und warten auf ein Startsignal. In Sichtweite haben es die Darsteller der chilenischen Dulce Companía bereits auf die Stelzen geschafft und kreisen mit ausholenden Gesten zwischen den Zuschauermassen. "Wir stellen eine chilenische Prozession zum Madonnenheiligtum nach", sagt Franziska Montecinos. Sie reiste vor zwei Wochen extra aus Chile an, um Dulce-Chefin Marjorie Chau zu helfen. Chau entwarf auch die fantasievollen Riesenkostüme, die eine barbusige Madonna, einen Teufel samt Engel, Columbine mit ihrem Harlekin, Eros und Aphrodite sowie Sonne und Wasser abbilden.

4500 Künstler aus 80 Nationen

Damit die Dulce Companía und andere Gruppen ungestört ihre Geschichten zeigen können, hat an der Spitze des Zuges Zeremonienmeister Murah Soares symbolisch die Straße gewaschen und alle Tänzer seiner 200 Leute starken "Afoxé Loni" mit diversen Elexieren "gesegnet". Sie alle frönen dem Afoxé, einem Tanz, der Teil einer besonders in der brasilianischen Provinz Salvador de Bahía gepflegten Religion mit afrikanischen Wurzeln ist: Candomblé. Soares' Gruppe ist zum zwölften Mal beim Karneval der Kulturen dabei. Plötzlich schreit Soares laut auf: Soeben hat er die Grande Dame der Candomblé-Forschung, Yeda Pessoa de Castro, entdeckt. Ehrfürchtig wird die brasilianische Professorin zu einer Rikscha geleitet, die sie bis zum Ende des Umzuges um 21 Uhr fahren soll. Um sie herum wirbeln Brasilianer, Deutsche, Skandinavier, Niederländer, die sich alle dem Afoxé verschrieben haben und von Soares choreographierte Tänze zeigen.

Für ungeübte Augen sieht der durch Trommeln begleitete Tanz wie Samba aus. Aber, so belehrt der Mittänzer und Mitbegründer des Berliner "Forums Brasil", Martin Titzck, "Afoxé ist so weit vom Samba entfernt wie Langsamer Walzer von Slow Fox". Inzwischen hat sich Pessoa de Castro mit Grandezza in der Rikscha niedergelassen. Ein eigens für sie komponiertes Lied ertönt. Der Straßenumzug mit 4500 Künstlern aus 80 Nationen setzt sich in Bewegung. 

Torsten Hilscher[ddp]

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