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Ist es hier wirklich so langweilig? Manche gewählte Vertreter hält es jedenfalls nicht mehr im Berliner Abgeordnetenhaus.

© dpa

Karriereziel Bundestag: Wenn Berliner Abgeordneten die Landespolitik zu klein wird

Manche Politiker haben sich beim Volk mit Anliegen für das Abgeordnetenhaus beworben. Doch sie sehen darin nur einen Durchlauferhitzer. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Nur ein Jahr liegt zwischen der Wahl zum Abgeordnetenhaus und der Bundestagswahl am 24. September. Vielleicht fällt deshalb so deutlich auf, wie leicht manche Abgeordneten ihre Perspektive wechseln. Gemeint sind die, die in einem Jahr für eine Landtagswahl kandidieren, im nächsten oder dem darauf dann für den Bundestag. Sie finden sich in allen Parteien.

Es gibt die verschiedensten Motive für den Perspektivwechsel. Eins hat ausgerechnet der AfD-Mann Harald Laatsch auf etwas derbe Weise deutlich gemacht. Laatsch sagte in seiner Bewerbungsrede für einen Platz auf der AfD-Bundestagskandidatenliste: „Wer von uns ist wegen Schlaglöchern in die AfD eingetreten? Wir wollen Deutschland verändern.“ Darunter macht er es nicht. Das sollte wohl heißen, dass dem AfD-Mann ein paar Monate im Abgeordnetenhaus reichten, um die Banalität der Landespolitik zu erkennen – und das einer wie Laatsch doch in den Bundestag gehört. Das ist wohl Motiv Nummer eins der Perspektivwechsler: starke Überzeugung von der eigenen Bedeutung.

Eben noch Bürgermeisterkandidat - jetzt das Interesse verloren

In der AfD mit ihren Umfragehöhen- und -sinkflügen gibt es einige, die trotz reiferen Alters ihren politischen Ort nicht gefunden haben. Der Berliner Fraktionschef Georg Pazderski wollte ins Abgeordnetenhaus. Dann dachte er, kaum im Abgeordnetenhaus angekommen, laut über einen Platz auf der Bundestagliste nach. Nun bleibt er doch der Berliner Politik erhalten. Alexander Gauland, AfD-Fraktionschef im Potsdamer Landtag, tritt in Frankfurt/Oder zur Bundestagswahl an. Ein Parteisprecher erklärte das damit, dass Gauland sich habe „breitschlagen“ lassen. Seltsames Mandatsverständnis. Vermutlich gehört es in die Rubrik „starker Bedeutungsschub“.

Ironischerweise gibt es in der Politik auch das krasse Gegenteil: massiver Bedeutungsverlust als Motiv für eine Bundestagskandidatur. Es hat vor allem in der CDU Tradition. Frank Henkel, der noch vor einem Jahr seine Partei in den Wahlkampf führen und Regierender Bürgermeister werden wollte, scheint jedes Interesse an der Berliner Politik verloren zu haben. Statt seine desorientiert und kraftlos wirkenden Parteifreunde an den alten Kämpfer von früher zu erinnern, will er in den Bundestag.

Das wollte schon Eberhard Diepgen nach vielen Jahren im Berliner Rathaus; damals verweigerte ihm seine Partei die politische Promotion. Das wollte dann auch Frank Steffel nach einem spektakulär gescheiterten Wahlkampf – er wurde nominiert. Henkel wird es wohl eher wie Steffel ergehen.

Parteifreund Gottfried Ludewig hat 2009 für den Bundestag kandidiert; 2017 tritt er wieder an, trotz gerade errungenem Mandat für das Abgeordnetenhaus: Landespolitik als bloße Etappe.

Es bleibt der Eindruck, dass sie ihren Wählern etwas vorgemacht haben

Soll das heißen: Perspektivwechsel verboten? Einmal Bezirksverordneter – immer Bezirksverordneter? Überhaupt nicht. Es soll bloß heißen, dass Politiker manchmal nicht ganz unschuldig sind an den Glaubwürdigkeitsproblemen, die sie haben. Sonst sieht es aus, als sehe man einen Landtag oder ein Abgeordnetenhaus als politischen Durchlauferhitzer.

Zurück zu Harald Laatschs Berliner Schlagloch, das er nach ein paar Monaten langweilig zu finden scheint. Das verbindet ihn bizarrerweise ausgerechnet mit der Grünen Bettina Jarasch. Auch sie will nach wenigen Monaten im Abgeordnetenhaus in den nächsten Bundestag. Parteifreundin Canan Bayram hat es immerhin zehn Jahre mit den Berliner Banalitäten ausgehalten, bevor sie ihre Kandidatur für den Bundestag ankündigte. Im Berliner Wahlkampf hatte Bayram auf der Internetseite „Abgeordnetenwatch“ allerdings noch verkündet: „Ich möchte mich gerne weiterhin im Berliner Abgeordnetenhaus für unseren Kiez einsetzen. Deshalb kandidiere ich erneut am 18. September 2016 als Direktkandidatin im Wahlkreis 5 in Friedrichshain-Kreuzberg (...).“

Die SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill bewirbt sich nach fünfzehn Jahren im Abgeordnetenhaus für einen Listenplatz in Richtung Bundestag. Ihr ist so wenig wie Jarasch, Henkel oder Laatsch zu bestreiten, dass sie ihre Wahlkampfreden von 2016 zu den Akten gelegt hat und die Perspektive wechseln, weiten, ändern will. Doch bleibt der Eindruck, sie alle hätten ihren Anhängern und Wählern im Wahlkampf 2016 etwas vorgemacht.

Politik auf der mittleren Ebene ist selten sehr bedeutend und gerade in Berlin manchmal eine krude Mischung aus Aufregung, gutem Willen und Überforderung. Aber es ist Politik für 3,4 Millionen Menschen. Und sie handelt selten nur von Schlaglöchern.

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