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Berlin: KARSAI UND SEINE KLEIDER Ein Mann mit Gesicht

Der Stil von Hamid Karsai / Von Wolfgang Joop

Gegen die einheitlichen dunklen Anzüge, weißen Hemden und diskreten Krawatten der Politiker dieser Welt ist der Aufzug des afghanischen Ministerpräsidenten Hamid Karsai so sehr Markenzeichen wie sonst nur die gemusterten Hemden von Nelson Mandela. Dabei wirkt Karsai keineswegs wie ein Provinzler vom Rande der Weltkleiderordnung – im Gegenteil. Seine Mischung aus heimatlicher Folklore und westlichen Stilelementen wirkt souverän und stolz. Selten sieht man ihn ohne „Chapan“, einen Mantel aus farbiger, meist gestreifter Seide, dessen lange Ärmel nicht zum Hineinschlüpfen gedacht sind, und dessen überbreite Schultern dem Träger Würde verleihen. Diesen Eindruck verstärkt die „Karakuli“ aus Lammfell, eine Mütze, wie man sie sonst von Soldaten kennt. Auch der ehemalige Ministerpräsident von Indien, Pandit Nehru, pflegte eine solche Mütze zu tragen. Wie er trägt Karsai auch lange Hemden mit Stehkragen unterm westlich geschnittenen Jackett. Die Beinkleider sind weit geschnitten, wie bei Männern im asiatischen Raum üblich, laufen aber in relativ schmalen Hosenbeinen aus, die bis auf die schwarzen Halbschuhe oder Slipper fallen. Tom Ford, den damaligen Chefdesigner der Marken Yves Saint Laurent und Gucci, begeisterte Karsais Kleidung so, dass er ihn 2002 zum bestgekleideten Mann der Welt erklärte. Seit einigen Jahren sind asiatische Elemente auch in der westlichen Mode sehr beliebt. S.N.

Sowohl Frage und Antwort, ob es wichtig oder wie wichtig es sei, dass ein Politiker gut angezogen ist oder eben nicht, ist mir gleichermaßen unwichtig. Spätestens seit der Diskussion, ob der „BrioniKanzler“ recht daran tat, kein Konfektionsstück – zum Beispiel von „Boss“ – zu tragen. Erstens gehört die Marke Boss Italienern, zweitens geht es bei Männern, auch Politikern, um Inhalte, nicht um Verpackungen. Um Haltung, nicht um Posen.

Nun aber besucht ein besonderes Exemplar Mann und Politiker meine Stadt – und ich bin nicht da! Das bedauere ich. Denn Hamid Karsai besitzt etwas, das nur ganz wenige Männer haben, schon gar nicht – fast nie – Politiker: Aura, jenes Mysterium, das Distanz gebietet und zur Annäherung verführt. Man vermutet: Ob dieser Herr aus Afghanistan nun angezogen ist oder gerade nicht, er würde seine Haltung, seine Würde und natürliche Eleganz in keiner Situation verlieren. Männliche Eleganz im modernen Sinn ist eine Verpflichtung zur eigenen Tradition, zur Gegenwart und zur Zukunft. Ist Eleganz eine zeitgemäße Disziplin, hat es ein echter Kosmopolit wie Karsai leichter als der deutsche Kanzler, der sich auch optisch zum provinziell gefärbten Konsens verpflichtet sieht. Und hat einer die Heimat-Folklore auf seiner Seite, so hat er es, modisch gesehen, immer leichter als einer, der sich in seinem Ausputz bis hin zur Selbstverleugnung so genannter internationaler Kleiderordnung anpassen muss oder will. Die Bayern mit ihrer Tracht haben es auch leichter als die Berliner zum Beispiel.

Doch zurück zu unserem Staatsbesuch! Der Mann hat einfach ein Gesicht. Eines, das man gern betrachtet. Vielleicht schon deshalb, weil die Frauen seines Landes dies erst seit kurzem zeigen dürfen. In Hamid Karsais Fall wäre eine Burka eine Katastrophe, als Mitbringsel fürs Bundeskabinett allerdings in vielen Fällen eine Gnade. Der Schnitt dieses Kleidungsstückes eignet sich für jede Figur und jedes Geschlecht.

Präsident Karsai ist ein glänzendes Beispiel dafür, dass ein Mann auch dann oder vielleicht gerade dann ein Herr bleibt, selbst wenn er das Kleid seiner Ahnen trägt.

Der Autor ist Designer, wohnt in Berlin und hält sich derzeit in Monte Carlo auf.

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