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In guten Händen? Nach dem durch Keimbefall in der Charité verursachten Tod eines Babys sind die Eltern der kleinen Patienten an der Universitätsklinik in Sorge. Seit Montag ermittelt auch die Staatsanwaltschaft.

© picture alliance / dpa

Update

Tod eines Neugeborenen: Keimbefall in der Charité: Erste Hinweise auf Infektionsquelle

Es gibt erste Hinweise auf die mögliche Infektionsquelle, für die Öffentlichkeit aber bleiben sie vorerst vage. An der Charité herrscht unterdessen Informationschaos, viele Fragen sind unbeantwortet. Und es wurde bekannt, dass sich im Deutschen Herzzentrum ein weiterer Säugling infiziert hat.

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Bei der Suche nach den Ursachen für die Serratien-Infektionen an der Berliner Charité gibt es erste Hinweise. „Wir haben einige interessante neue Spuren“, sagte die Leiterin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Berliner Charité, Petra Gastmeier am Dienstag im rbb-Inforadio. Zur möglichen Infektionsquelle gebe es Ideen von Mitarbeitern, aber auch von außen. Um welche Quellen es konkret geht, sagte Gastmeier nicht. „Wir müssen erst noch Proben ziehen. Insofern dauert es noch eine Weile, bis wir Genaues wissen.“ Auch eine Infektion über Babypflegemittel sei nicht auszuschließen, sagte sie. Im September hatten zwei Drogeriemarktketten Pflegemittel zurückgerufen, weil sie mit Serratien-Keimen belastet waren, der Tagesspiegel hatte zuerst über den möglichen Zusammenhang berichtet.

Unterdessen wurde bekannt, dass sich auch im Deutschen Herzzentrum in Berlin ein Säugling mit Serratien infiziert hat. Das Zentrum bestätigte am Montagabend einen entsprechenden Bericht des Gesundheitsmagazins "rbb Praxis". Dem Jungen gehe es nach einer erfolgreichen Behandlung wieder gut, sagte die Sprecherin des Herzzentrums, Barbara Nickolaus. Der Kleine solle an diesem Mittwoch entlassen werden. Bisher waren nur Fälle von sieben erkrankten Babys in der Charité bekannt, zudem gibt es den Fall eines verstorbenen Säuglings, der zunächst in der Charité, später im Deutschen Herzzentrum behandelt wurde. Nun gibt es also auch dort eine mögliche Häufung von Erkrankungen.

"Wir gehen davon aus, dass der später verstorbene Säugling die Keime in das Herzzentrum eingeschleppt hat", sagte Nickolaus. Beide Jungen seien zur gleichen Zeit behandelt worden. Der Direktor der Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie am Herzzentrum, Prof. Felix Berger, sagte dem rbb, im Labor werde gerade getestet, ob beide Kinder an den genetisch gleichen Keimen erkrankt seien.

In Sorge waren unterdessen am Dienstag die Eltern der in der Charité behandelten Frühchen. „Ich habe Angst, dass es mein Kind ist“ – der Mann am Telefon klingt verzweifelt. Gerade hat er im Internet gelesen, dass eines der mit den Darmbakterien infizierten Frühchen in der Charité in Lebensgefahr schwebe. „Bisher hieß es, die Babys seien stabil“, sagt der Vater. Seine Frau habe ihr Kind viele Wochen zu früh zur Welt gebracht, aber es sei gesund und habe Fortschritte gemacht.

Vor vier Tagen seien seine Frau und er informiert worden, dass das Kind eine Infektion habe und Antibiotika bekomme. Es bestehe aber kein Grund zur Sorge, habe es geheißen – und von Keimen keine Rede. „Das haben wir erst am Wochenende aus den Medien erfahren“, sagt er.

Und er musste auch an diesem Montag bis zum Nachmittag zittern, als dann Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) sagte: „Dem Frühchen geht es besser.“ Zuvor hatte eine Charité-Sprecherin von Lebensgefahr gesprochen. Am Sonnabend sagte eine Charité-Sprecherin, die erkrankten Kinder litten beispielsweise an Gehirnhautentzündung, Lungenentzündung und Harnwegsinfekten. Am Montag gab es dazu keine Auskunft.

Das Informationschaos wollte Ulrich Frei, Ärztlicher Direktor der Charité, am Montag beenden. „Es wäre besser gewesen, schon am vergangenen Donnerstag die Öffentlichkeit zu informieren“, sagte Frei dem Tagesspiegel.

Am 18. Oktober wurde wie berichtet für die zwei Neugeborenen-Stationen im Virchow-Klinikum der Charité in Wedding ein Aufnahmestopp beschlossen. Das herzkranke Kind, das wohl in der Charité mit Keimen infiziert worden war, ist Frei zufolge am 5. Oktober nach einer OP im Herzzentrum gestorben. Bisher war über das Datum nur spekuliert worden.

Man habe auch – anders als es bislang Gerüchten zufolge hieß – noch in der Charité einen Bluttest gemacht, allerdings brauchte dessen Auswertung wie üblich fünf Tage, da sei das Kind schon verstorben gewesen. Der Laborbefund habe bestätigt, dass das Kind mit den Darmbakterien infiziert war. Am Dienstag will sich die Charité-Leitung ausführlich erklären – etwa auch, ob sich nach dem 8. Oktober, als der Keimbefall von zwei Frühchen an das zuständige Gesundheitsamt Mitte gemeldet wurde, weitere Kinder infiziert haben.

Eine Sprecherin des Herzzentrums sagte, das Kind sei als Notfall aus der Charité gekommen und unmittelbar nach der erfolgreichen Herz-OP an einer durch den Keim ausgelösten Blutvergiftung gestorben. Ob die Charité das Herzzentrum informiert hatte, dass auf der Station, wo das herzkranke Kind lag, Keime aufgetreten waren, konnte sie nicht sagen.

Auch der Sprecher der Staatsanwaltschaft, die seit gestern wegen fahrlässiger Tötung ermittelt, kennt das Sterbedatum nicht: „Wir wissen nicht einmal, ob die Leiche noch da ist, um sie zu obduzieren.“

In beiden Stationen wird "jeder Stein gewendet"

Unterdessen hat sich am Montag erstmals der Chef der zuständigen Aufsichtsbehörde geäußert. Der Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke (SPD), leitet dort auch das Gesundheitsressort, das für Notfallmaßnahmen am Charité-Campus in Wedding zuständig ist. Sein Amt sei am 9. Oktober vom Keimbefall informiert worden, sagte er, es habe mit der Klinik die Teilung der Stationen und die Isolation von betroffenen Kindern angeordnet. Die Rettungsstelle sei nur noch in Ausnahmefällen von Notdiensten angefahren worden.

Am 12. Oktober allerdings sei die Charité mündlich angewiesen worden, Patienten- und Mitarbeiterzahlen einzureichen, sagte Hanke. Mehr als eine Woche lang sei dahingehend nichts geschehen. „Das ist sicher ärgerlich, wir haben das nun nachgereicht“, sagte Charité-Direktor Frei am Montag.

Auf der Suche nach der Infektionsquelle überprüft ein Team aus Bezirksmitarbeitern, Charité-Medizinern und Experten des Robert-Koch-Instituts die Abläufe und Lieferungen der vergangenen Wochen. „Die wenden jeden Stein in den beiden Stationen“, sagte Senator Czaja. Das sogenannte Ausbruchsteam solle auch klären, ob ausreichend Schwestern und Pfleger eingesetzt waren und das Personal auf den Charité-Stationen ausreicht.

Ein Kinderarzt berichtete, dass auf den Neugeborenenstationen in den vergangenen Jahren zwar wenige Stellen gestrichen worden seien. Von der von Fachverbänden geforderten Quote – eine Schwester betreut ein Frühchen – sei man aber weit entfernt. Czaja räumte ein, dass dieser Personalschlüssel wahrscheinlich nicht erreicht werde. Der Personalratsvorsitzende der Charité hatte gesagt, in Intensivstationen betreue im Schnitt eine Schwester drei bis vier Patienten.

Als landeseigene Universitätsklinik untersteht die Charité der Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD), sie ist auch Aufsichtsratsvorsitzende. „Die Vorfälle werden im Aufsichtsrat besprochen“, sagte Scheeres. Dem Vernehmen nach könnte die planmäßige Sitzung im Dezember vorgezogen werden.

Zur Personalsituation äußerte sich auch der Verband der Pflegeberufe DBfK: „Das Problem reicht über die Charité hinaus. Wir brauchen eine Änderung der Krankenhausfinanzierung.“ Durch die sogenannten Fallpauschalen steige der Kostendruck. Politik und Krankenkassen nähmen wohl „billigend in Kauf“, dass Hygieneanforderungen nicht immer erfüllt werden können.

Der Chef der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, Klaus-Dieter Zastrow, hatte in Hochrisikostationen einen höheren Personalschlüssel gefordert. Experten zufolge müssen sich Schwestern und Pfleger auf Intensivstationen mindestens 150-mal am Tag die Hände desinfizieren, was jeweils mehr als 30 Sekunden dauert, damit das Mittel wirkt. Pro Schicht ist ein Mitarbeiter also mindestens 75 Minuten damit beschäftigt – Zeit, in der andere Aufgaben warten müssen.

Noch ist offen, ob Eltern der betroffenen Kinder gegen die Klinik klagen werden. Wenn jeder Patient bei seiner Aufnahme auf Keime untersucht würde, sagte Anwalt und Medizinrechtler Jörg Heynemann, wäre dies besser.

Käme ein Patient ohne Keime ins Krankenhaus und verlasse es mit Keimen, stünde fest, dass er sich in der Klinik infiziert habe. Derzeit sei es für geschädigte Patienten schwer, dies zu beweisen. Ein verschärftes Haftungssystem würde zu mehr Hygiene führen: Dann wären Entschädigungen teurer als die nötigen Mittel für Krankenhaushygiene.

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