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Ein Baby ist infolge einer Keiminfektion an der Berliner Charité gestorben.

© dpa

Keimbefall auf der Frühgeborenenstation: Eltern in Angst

Ein Kind ist tot, sieben weitere erkrankt: Der Keim-Alarm an der Charité lässt Eltern um das Leben ihrer Kinder bangen - und sorgt für eine Debatte über die Hygiene an Kliniken.

Die Sonne und die warmen Herbstlaubfarben verbreiten eine trügerische Idylle in der Mittelallee auf dem Gelände des Virchow-Klinikums in Wedding. Hier gehen Eltern von Frühgeborenen ein und aus, die sich ohnehin um das Leben ihrer Kinder sorgen – und nun wegen eines Keimes namens Serratia in zusätzliche Unruhe versetzt werden. Das Darmbakterium ist in der Regel harmlos, nicht jedoch für frühgeborene Babys. Seit Juli wurde der Keim an 22 Neugeborenen und Frühchen in der Station nachgewiesen. 15 Babys sind von dem Keim kolonisiert. Das bedeutet, dass er auf ihrer Haut nachgewiesen werden kann; es liegt aber keine Infektion vor. Sieben weitere der nur wenige hundert Gramm leichten Kinder haben das Bakterium im Blut, sie sind erkrankt, erhalten Antibiotika. Die Kinder leiden beispielsweise an Gehirnhautentzündung oder Lungenentzündung, einige konnten aber auch bereits wieder aus der Klinik entlassen werden. „Da macht man sich schon große Sorgen“, sagt eine Mutter auf der Bank vor der Frauenklinik, sie kommt immer mit der sechsjährigen Tochter her, zur Dialyse.
Auch bei den Eltern anderer Kinder, die am Sonnabend etwa nach Bestrahlungen oder mit Verdacht auf Gehirntumore hier sind, lösen die Nachrichten über den Tod des Babys eine Diskussion um Klinikhygiene aus. Während die einen der Meinung waren, an der Charité werde weniger als an anderen Kliniken darauf geachtet, etwa Handschuhe und Mundschutz zu tragen, auch weil das Personal stets unter Zeitdruck arbeite, lobten andere die Sauberkeit in der Uniklinik.

Wenig später erklären die Charité-Leiter der kurzfristig eingeladenen Presse, dass die Feuerwehr am 14. Oktober für ihre Notfahrten über die Vorfälle an der Charité informiert wurde. Wer sich dann in dem Weddinger Krankenhaus am Augustenburger Platz 1mit dem Fahrstuhl auf den Weg macht zur Neonatologie-Station, wird freundlich, aber bestimmt gebeten, sich bei Fragen an die Charité-Leitung zu wenden. Kein Zutritt, keine Auskunft, man bittet um Verständnis. Laut Charité-Leitung werden die Eltern des verstorbenen Kindes intensiv betreut.

Die aktuellen Fälle dürften erneut eine Debatte um die Hygiene in Krankenhäusern auslösen. An Europas größter Universitätsklinik ist bereits heftig um Sicherheit und Infektionen gestritten worden. Keime in Kliniken sind trotz intensiver Bemühungen nicht vollständig vermeidbar. Allerdings unterscheiden Experten die Erreger nach ihrer Gefährlichkeit - bei bestimmten Keimen gelten derart hohe Sicherheitsstandards, dass ein weiteres Ausbreiten fast unmöglich gemacht wird. „In jedem Fall muss eine Station bei Bekanntwerden eines Befalls geschlossen werden“, sagte der Gesundheitsexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Wolfgang Albers. Weil sich in deutschen Krankenhäusern jedes Jahr hunderttausende Patienten mit Klinikkeimen infizieren, bemühen sich Hygieneexperten und Gesundheitspolitiker um die Veröffentlichung von Daten der einzelnen Kliniken. „Dieses Projekt wird seit zehn Jahren verfolgt, immer mal wird mehr Transparenz angekündigt, passiert ist seitdem wenig“, sagte Albers, selbst Klinikarzt. Seit 2011 besteht die Pflicht, die Ausbrüche von Keimen zentral zu melden. Welche Kliniken betroffen sind, wird aber aus verschiedenen Gründen nicht bekannt gegeben. Die zuständigen Gesundheitsämter der Bezirke übermitteln die Daten anonymisiert an das Landesamt für Gesundheit und Soziales.

Heiko Thomas, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, sagte am Sonnabend: "Auch wenn die Ursache für diesen schrecklichen Vorfall noch nicht endgültig geklärt ist, zeigt das abermals, dass in Krankenhäusern immer noch zu wenig getan wird, um die Ausweitung der Krankenhauskrankheit und damit die Verbreitung von Keimen zu verhindern. Die Entstehung von Keimen lässt sich nicht verhindern, es kommt aber darauf an, wie mit ihnen umgegangen wird." Seine Fraktion fordere deshalb ein strengeres Hygienemanagement in Berliner Krankenhäusern. Die Charité werde sich fragen lassen müssen, ob etwa das Putzpersonal ausreichend Zeit zur Reinigung zur Verfügung hat oder die entsprechende Qualifikation besitzt.

Keime gelangen durch Patienten, aber auch durch Personal und Besucher in Kliniken. Einige Erreger entstehen in ihrer spezifischen Form erst in Krankenhäusern und sind daher oft gegen Antibiotika resistent. Seit Juli gilt für Berlins Kliniken eine neue Verordnung. Künftig soll der Einsatz von Antibiotika besser gesteuert werden, eben weil sich erst durch deren massenhaften Gebrauch viele Erreger zu multiresistenten Keimen entwickelt haben. Die Krankenhäuser müssen ihren Antibiotika-Verbrauch nun mit Daten anderer Kliniken vergleichen. Viele Mediziner sagen, Berlins Krankenhäuser seien vergleichsweise „gut aufgestellt“. Auch Ärzte und Pfleger an der Charité sagten dem Tagesspiegel, dass die Uniklinik zuletzt viel für die Hygiene getan habe.

Das war nicht immer so, wie auch leitende Mitarbeiter zugeben: Die Charité hatte vor Jahren die Tochterfirma CFM gegründet, die für Reinigung und Lieferungen zuständig ist. Immer wieder hatten Mitarbeiter und die Gewerkschaften Verdi und IG Bau kritisiert, dass Reinigungskräfte nicht gesondert desinfiziert und immunisiert worden seien.

Bislang mussten laut Berliner Krankenhausverordnung nur Kliniken mit mehr als 450 Betten einen eigenen Haushygieniker beschäftigen, seit diesem Sommer gilt eine Grenze von 400 Betten. Unabhängig davon muss in allen Kliniken und Reha-Einrichtungen ein Arzt als Ansprechpartner für Hygienefragen fungieren.

Die Gesellschaft für Krankenhaushygiene hatte zu Jahresanfang erklärt, in Berlin gebe es jährlich 36 000 vermeidbare Infektionen mit Klinikkeimen, 2300 davon könnten – müssen aber nicht – die Ursache für Todesfälle sein, vor allem bei Alten und Kleinkindern.

Der neu erschienene Tagesspiegel-Klinikführer 2013 für Berlin und Brandenburg enthält einen großen Schwerpunkt zum Thema Klinikhygiene und bundesweit erstmals für eine ganze Region auch Vergleichsdaten zur Infektionsvorsorge im Krankenhaus. Der Klinikführer hat 260 Seiten und kostet 12,80 Euro (für Tagesspiegel-Abonnenten 9,80 Euro). Er ist online im Tagesspiegel-Shop, unter der Telefonnummer 030-29021-520 oder im Handel erhältlich.

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