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Berlin: Kein Gras drüber

Am Wasserturm in Prenzlauer Berg betrieb die SA ein KZ. Seine Geschichte wurde jetzt erforscht

Vor den Cafés an der Knaackstraße sitzen die Gäste, junge Väter schleppen Tüten voller Gemüse und Biowürstchen vom Wochenmarkt auf dem Kollwitzplatz heran. Kinder toben über die Wiesen am alten Wasserturm. Am kleinen Wasserspeicher, 1856 gebaut, wirbt ein Verein dafür, ein „Wiener Weingartl“ anzulegen. Ein friedliches, unbeschwertes Bild. Der Szenebezirk Prenzlauer Berg ist bürgerlich geworden.

Direkt neben dem alten Turm, der bald nach seinem Bau zum Wahrzeichen der einstigen Arbeitergegend zwischen Senefelder Platz und Danziger Straße wurde, richtete die nationalsozialistische „Sturm-Abteilung“ (SA) im Frühjahr 1933 eines ihrer ersten „wilden" Konzentrationslager ein. Nichts erinnert daran, dass inmitten eines dicht bebauten Wohnviertels Gefangene verhört und gefoltert wurden. Fast nichts: Neben dem Turm ist seit 1950 auf einer unscheinbaren Bronzetafel zu lesen, dass „aufrechte deutsche Widerstandskämpfer Opfer faschistischer Mörder“ geworden sind. Allgemeiner geht es nicht.

Irene Mayer hat sich mit dem Lager beschäftigt; im Rahmen eines KZ-Forschungsprojektes im Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität. Die Historikerin beantragte bei der Gedenktafelkommission des Bezirks – als ersten Schritt – die Aufstellung einer ergänzenden Informationstafel.

Das KZ am Wasserturm existierte nur dreieinhalb Monate, von Anfang März bis Mitte Juni 1933. Danach richteten die Nazis in den ehemaligen Maschinenhäusern des Wasserreservoirs ein „SA-Heim" für 1200 Personen ein. Am Umbau ihrer Leidensstätte mussten auch KZ-Häftlinge teilnehmen. Nach dem „Röhm-Putsch“ (Hitler ließ die gesamte SA-Führung liquidieren) wurde das Heim im Herbst 1934 wieder geschlossen und das Maschinenhaus I, das eigentliche KZ-Gebäude, abgerissen. Seit 1937 befindet sich dort eine Grünanlage, heute auch mit einem Kinderspielplatz.

Gegen den ehemaligen KZ-Kommandanten, SA-Sturmführer Ernst Pfordte, und einige seiner Kumpane kam es wegen Diebstahls und Hehlerei 1934 zu einer Anklage vor dem Kreisgericht VII Gau Groß-Berlin. Die Misshandlung von Häftlingen interessierte die NS-Justiz natürlich nicht. Wie viele Personen am Wasserturm inhaftiert gewesen sind und ob einige von ihnen dabei zu Tode kamen, lässt sich aus den spärlich erhaltenen Akten nicht mehr rekonstruieren.

Ältere Anwohner erinnerten sich später an nächtliches Schreien und an die Angst der meist links eingestellten Nachbarschaft. Zu den in „Schutzhaft“ Genommenen im Viertel gehörten Kommunisten und Juden, etwa ein Tabakwarenhändler. Dessen Laden an der Kastanienallee wurde von SA-Schlägern geplündert, während er, keine 200 Meter von der Gemeindesynagoge in der Rykestraße entfernt, am Wasserturm festgehalten wurde.

Das Konzentrationslager gehörte nicht zu den größten und berüchtigtsten Folterstätten, die unmittelbar nach der „Machtübernahme“ in Kasernen, Kellern und „SA-Sturmlokalen" eingerichtet wurden. (Siehe Kasten).

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