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Berlin: Kein Mittel gegen den Spielhallen-Boom

Kommunalpolitiker beklagen Druck auf Bezirks-ZentrenVON C.DOBBERKE UND S.

Kommunalpolitiker beklagen Druck auf Bezirks-ZentrenVON C.DOBBERKE UND S.EDLER BERLIN.Die Stadt steht vor einem neuen Spielhallen-Boom: Trotz der einhelligen Ablehnung durch Bezirkspolitiker haben die Betreiber gute Chancen auf Neueröffnungen, weil die Bauordnung vor allem in der Innenstadt Vergnügungsstätten ausdrücklich zuläßt.Dazu kommt die von Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt geplante Lockerung der Spielverordnung, die bei Berliner Suchtberatern auf scharfe Kritik stößt. Im vergangenen Jahr gab es in Berlin laut einer Senatsstatistik 316 Spielhallen, davon 35 in den Ost-Bezirken.Spitzenreiter war Kreuzberg (51), gefolgt von Neukölln (41), Schöneberg (39), Wedding (35), Charlottenburg und Tiergarten (je 33).Bezogen auf 100 000 Einwohner war die Spielhallen-Dichte allerdings in Hamburg höher (23 gegenüber 13,5 in Berlin).Doch jetzt werden es plötzlich deutlich mehr. In Steglitz gab es lange Zeit nur vier Spielhallen, in diesem Jahr wurden aber gleich sieben neue beantragt.Obwohl Baustadtrat Norbert Kopp (CDU) betont, er schöpfe "alle Möglichkeiten dagegen aus", sah er sich zu bisher vier Genehmigungen gezwungen.Dabei ging es um zwei Spielhallen in der Albrechtstraße und je eine in der Schildhorn- und der Schloßstraße.Sie liegen in sogenannten Kern- oder Mischgebieten, in denen sich Vergnügungstätten gemäß der Bauordnung kaum verhindern lassen.Möglich sei eine Ablehnung allerdings bei "übermäßigen Konzentrationen", sagt Kopp.Dieser Fall würde bei mehr als zwei Spielstätten in einer der Straßen vorliegen.Tatsächlich wurden für die Schildhornstraße noch zwei weitere Anträge gestellt.Einer davon scheiterte aber bereits daran, daß der geplante Standort am Rande einer Wohnsiedlung lag; über den anderen ist noch nicht entschieden.Dem Bauamt liegt außerdem ein bisher unerledigter Antrag für den Steglitzer Damm vor. In Wilmersdorf wird derzeit, wie berichtet, die Spielhalle neben der Schaubühne am Kurfürstendamm um die Räume des früheren Lokals "Athener Grill" erweitert.Wie sein Steglitzer Kollege Kopp sieht sich Baustadtrat Alexander Straßmeir (CDU) machtlos, weil der Standort in einem "Kerngebiet" liegt.In Köpenick stieg die Zahl der Spielhallen in den letzten zwei Jahren sogar von drei auf 18.Einen Anlaß für Gegenmaßnahmen sieht Grundstücksamtsleiter Eckhard Braun aber noch nicht und verweist auf viel größere Häufungen in anderen Bezirken. In der Daddel-Hochburg Kreuzberg ist der Markt nunmehr derart gesättigt, daß keine neuen Anträge mehr vorliegen.Begrenzungen der Ansiedlung "hätte man schon lange vor der Maueröffnung gesetzlich regeln sollen", meint Wirtschaftsamtsleiter Joachim Wittig.Jetzt konzentriere man sich darauf, die Betriebe regelmäßig zu kontrollieren. Auf wenig Zustimmung in den Bezirken stößt Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt mit seinem jüngsten Vorstoß zur Änderung der Spielverordnung.Danach sollen in großen Spielhallen zwölf statt der bisher zulässigen zehn Münzspielautomaten erlaubt sein.Eine entsprechende Vorlage soll im Dezember dem Bundesrat vorgelegt werden.Für Rainer Düffort, Fachbereichsleiter der Suchtberatung des Berliner Caritas Verbandes, bedeutet dieser Plan "ein falsches Signal"."Da hat die Automatenindustrie offenbar gute Lobbyarbeit gemacht", sagt er. Als eine Art Zugeständnis versteht dagegen der Geschäftsführer der Informationsgemeinschaft Münzspiel, Bert Varrel, Rexrodts Plan."Wir sind dem Gesetzgeber 1992 entgegengekommen und haben sogenannte selbstbestimmende Vereinbarungen getroffen, wobei ein Spieler nur noch an maximal zwei Geräten gleichzeitig spielen darf und das Risiko durch Programmierung der Automaten verringert wurde", sagt er. Über den Umsatz kann die Automatenindustrie kaum klagen.Immerhin 6,5 Milliarden Mark kommen nach Varells Angaben durch die Einsätze der Spieler in den deutschen Spielhallen und Kneipen zusammen - einschließlich der Einnahmen durch Billardtische, Kicker und Dart-Geräten sowie Fahrsimulatoren und andere Computerspiele. Laut Rainer Düffort von der Caritas-Suchtberatung sind 80 Prozent der Menschen, die zu ihm kommen, süchtig nach dem Spiel an den Automaten.Rund 300 Ratsuchende kommen jährlich zur Beratungsstelle, etwa 3000 Besucher nutzen das Beratungsangebot im Café Beispiellos in der Zillestraße.Besonders gefährdet, so Düffort, seien die Spieler, die eine Stammhalle haben, dort ihren Kaffee und auch mal die Heimfahrt spendiert bekommen, wenn sie sich nicht einmal mehr den Bus leisten könnten.

C.DOBBERKE, S.EDLER

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