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Berlin: Kein Tropfen nach Feierabend

Vorschrift ist Vorschrift: Warum eine Weinhändlerin nach Ladenschluss nicht ausschenken darf

Wenn Isabelle Märksch abends noch mit Freunden zwischen den Regalen ihres Weinladens ein Glas trinkt, passieren zwei Dinge. Erstens ruft der Nachbar von oben wegen Lärmbelästigung die Polizei, und zweitens bekommt Isabelle Märksch dann Ärger mit dem Wirtschaftsamt, weil sie eine Gaststättenerlaubnis braucht, um nach Ladenschluss noch mit Leuten in ihrem eigenen Laden zu sitzen. Könnte ja einer was kaufen wollen. Absurd? Nein, geltendes Recht. Sitzen darf sie nur alleine.

Bei seinem Plan, Bürger und Unternehmer von der Last unnötiger Vorschriften zu befreien, kommt der Senat nur schleppend voran. Zum einen schafft er dauernd neue Gesetze, bei denen man die Sinnfrage stellen kann – jüngstes Beispiel: die Bleischrotverordnung, nach der „Wasserfederwild“ (Enten) über Wasser nicht mit Bleischrot abgeschossen werden darf (über Land hingegen schon). Aber nicht nur das: Er wird auch von dritter Seite gebremst. So will der Senat zum Beispiel die Gaststättenverordnung drastisch vereinfachen. Dann dürften auch Imbissbuden, Bäckerläden und Frau Märksch Alkohol ausschenken, ohne ihren Gästen eine Toilette bieten zu müssen. Ein Schild müsste lediglich darauf hinweisen, dass keine Toilette vorhanden ist. Im Rat der Bürgermeister fiel dieser Plan allerdings durch. Die Bezirke fürchten nämlich eine „wilde Pinkelei“ vor der Tür. Der Rat der Bürgermeister hat aber nicht die Macht, das Gesetz zu stoppen. Es wird also demnächst ins Parlament eingebracht.

Eine Toilette hat Frau Märksch sogar. Früher lud sie monatlich ihre Kunden zu Weinproben ein, doch immer kam die Polizei. Sie schloss die Tür ab und hängte auf Anraten ihres Anwalts ein Schild „geschlossene Gesellschaft“ dran oder sagte, das seien alles ihre Freunde, und mit denen müsse sie doch in ihrem Laden sitzen dürfen – vergeblich. „Das ist trotzdem Gewerbetätigkeit“, sagt die zuständige Fachbereichsleiterin in Tempelhof-Schöneberg, Gabriele Donder. Das sei nach Ladenschluss nun mal nicht erlaubt. An sich würde man die Einhaltung der Vorschriften ja nicht so akribisch verfolgen, aber: „Wenn eine Anzeige kommt, müssen wir handeln.“ Und die kommt in der Regensburger Straße 32 zuverlässig vom Nachbarn von oben, der für eine Stellungnahme übrigens nicht zu erreichen war.

Isabelle Märksch braucht die Weinproben aber für das Überleben ihres Ladens. „Die Umsätze haben sich halbiert, seit ich die Weinproben nicht mehr mache“, sagt sie. – „Sie kann bei uns doch eine Erlaubnis für eine Kleinstgaststätte beantragen“, kontert Gabriele Donder vom Bezirksamt. „Dann dürfte sie bis 5 Uhr morgens öffnen, Alkohol ausschenken, und sie braucht weder eine Küche noch eine Ladentür, die nach außen öffnet.“ Das nennt die Behörde „Gaststättenerlaubnis light“. Richtige Kneipen brauchen nämlich all das und mehr, und je nach Lokalgröße mindestens „einen Damensitz, einen Herrensitz und zwei PP-Becken“. Damit sind nun wieder Toiletten gemeint. Isabelle Märksch will die Gaststättenerlaubnis jetzt beantragen.

Eine Erleichterung hat der Senat immerhin mittlerweile durchgesetzt: Die annähernde Gleichbehandlung zwischen Stehen und Sitzen. Nach Gesetz darf ein Bäcker, Fleischer, Lebensmittelhändler ohne Erlaubnis Stehplätze anbieten; will er seine Gäste sitzen lassen, brauchte er bisher eine Erlaubnis, und für die Erlaubnis wiederum Toilette und so weiter. Das ist jetzt vorbei. Die Erlaubnis braucht er für Sitzplätze zwar immer noch, aber sonst fast nichts. Der Wirtschaftssenator hat alle Ämter angewiesen, die Praxis zu ändern, so dass nun nur noch der Brandschutz gewährleistet sein muss. Das ist im Stadtbild auch zu sehen: In vielen Geschäften, in denen man früher stehen musste, darf man inzwischen sitzen.

Fatina Keilani

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