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Musikalische Runde. Das Therapieangebot der Stadtmission in Rahnsdorf ist beeindruckend. Beispielsweise musizieren und singen Betreuer immer dienstags mit behinderten Bewohnern. Foto: Steinert

© uwe steinert

Finanzausstattung: Soziale Träger im Ländervergleich

Wie sind Berlins soziale Träger finanziell ausgestattet? Üppiger als in anderen Ländern. Das zeigt ein Beispiel aus Brandenburg

Bernd Warnick und sein Kollege Stefan Kretzschmar haben denselben Job: Heimleiter für geistig behinderte Erwachsene der Stadtmission. Der eine in Berlin, der andere in Brandenburg. Was sie trennt, sind die Möglichkeiten in diesem Job: Kretzschmar hat für die Rundum-Betreuung eines Mehrfachschwerstbehinderten in Bestensee, Kreis Dahme-Spreewald, 112 Euro pro Tag zur Verfügung, Warnick in Berlin-Rahnsdorf ganze 100 Euro mehr. Die Zweiklassengesellschaft hat tarifliche Gründe: unterschiedlich hohe Leistungsentgelte in beiden Ländern.

Die Finanzierung soll die Kosten abdecken, die die Träger für Unterkunft, Verpflegung, Betreuung und Therapie der behinderten Bewohner brauchen. Die niedrigste Betreuungsstufe wurde der Stadtmission in Brandenburg 2009 mit 82 Euro vergütet, in Rahnsdorf mit 124 Euro. „Wir können nicht meckern“, sagt Warnick mit Blick auf seinen Kollegen.

Die Wohnstätte in Rahnsdorf legt den Schwerpunkt auf ein Heilpädagogisches Konzept mit vielen Therapieangeboten, die meisten der Bewohner sind nicht arbeitsfähig, viele sitzen im Rollstuhl. Die 27 Pflegebedürftigen leben in drei Gruppen zusammen, kochen, waschen, essen gemeinsam mit je zwei Betreuern pro Schicht, auch der Einkauf findet in der Gruppe statt. „Bei uns gibt es keine Großküche oder Wäscherei, jede Gruppe erledigt die Einkäufe für sich“, sagt Warnick. Der Wohnbereich gleicht dem einer üblichen WG. „Wir versuchen, es hier familiär zu gestalten“, ergänzt Betreuungshelfer Michael Retzdorf, seit 1998 dabei. Mit sechs weiteren Kollegen ist er für acht Bewohner zuständig – zwei davon sitzen im Rollstuhl und sind auf fremde Hilfe angewiesen, andere sind autoagressiv. „Man muss hier sehr wach sein“, sagt Retzdorf. „Wir werden nach Tarif bezahlt, das ist natürlich Luxus.“ Teilhabe am Leben ist das erklärte Ziel der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch. Die Einrichtungen sollen die Begabungen und Fähigkeiten der Behinderten fördern, das reicht vom Schuhezubinden bis zur Fahrt mit dem Bus. Manche schaffen es nach einiger Zeit ins ambulante Wohnen. Die Betreuung umfasst alle Generationen, die Bewohner haben ein lebenslanges Bleiberecht.

Mehr als die Hälfte von Stefan Kretzschmars Klienten sind über 60. Von den Therapieangeboten in Rahnsdorf kann er nur träumen. Für die 27 Bewohner in der Wohnstätte Gussow hat er gerade mal die Hälfte an Personal: Ein Betreuer pro Schicht kommt auf neun Bewohner. „Ich habe statistisch 10,5 Vollzeitkräfte zur Verfügung, also die Mindestbesetzung.“ Das Personal ist der größte Kostenfaktor. Warnick hat in Berlin 64 Prozent Fachkräfte, darunter fünf Heilpädagogen, eine Musik- und eine Ergotherapeutin. 50 Prozent seien per Gesetz vorgeschrieben, doch die Definition variiert. „Bei uns gelten auch Erzieher als Fachkräfte.“ Anders in Brandenburg.

Warum kann sich Berlin so viel mehr leisten als Brandenburg? „Mitte der Neunziger wurde das System von Zuwendungen bundesweit umgestellt auf pauschale Entgelte“, sagt Kretzschmar. Wo vorher für jeden Posten Belege vorgelegt werden mussten, konnte jetzt flexibel agiert werden. „Zum Beispiel muss am Jahresende nicht schnell noch das restliche Budget ausgegeben werden“, sagt Kretzschmar. Damals wurden die Kostenstrukturen der Einrichtungen zementiert – und auch der Sonderstatus Berlins, wo es sozialen Einrichtungen in der Vorwendezeit besonders gut ging. Im Ländervergleich liegt Berlin an der Spitze. „Sogar die Bayern sind billiger“, sagt Warnick.

Auch das System der Zuständigkeiten ist verschieden. In Berlin entscheidet der Senat über die Kostensätze der Einrichtungen, die Sozialämter der Bezirke bezahlen die Leistungen. In Brandenburg handeln die Landkreise die Sätze mit den Trägern aus. Kretzschmar findet das gut, weil so jene entscheiden, die für die Leistungen zahlen müssen. Für die Qualitätskontrolle ist wie in Berlin das Land zuständig. Einmal im Jahr werden die Einrichtungen von der Heimaufsicht kontrolliert. Seit Ende 2008 kommen Mitarbeiter auch unangemeldet vorbei. Die Beamten finden meist etwas, das zu bemängeln ist. „Letztes Mal wurde kritisiert, die Tagesstruktur sei bei uns nicht deutlich ausgehängt. Deshalb macht er jetzt ein Foto vom Tagesablaufplan beim Kollegen Warnick: Der Plan nimmt fast die ganze Wand ein. Darauf steht, welcher Bewohner wann welche Aufgaben hat. Und sei es nur das Zähneputzen. Daniela Englert

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