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Berlin: Keine Chance dem Laster

Im Schöneberger Rathaus soll eine Arbeitsgruppe Strategien gegen das geplante Großbordell entwerfen

Bezirksbürgermeister Ekkehard Band (SPD) fühlt sich am Dienstag öffentlich missverstanden. „Einen Sperrbezirk habe ich nicht gefordert.“ Aber das Thema Sperrbezirk dürfe auch kein Tabu sein, sagt der Verwaltungschef von Tempelhof-Schöneberg. Am 6. November kommt eine Arbeitsgruppe beteiligter Behörden und Anwohner zusammen, um übers weitere Vorgehen zu beraten. „Da kann auch das Wort Sperrbezirk fallen.“

Band will jedenfalls alles versuchen, um das heißdiskutierte „Laufbordell“ zu verhindern. Jenes Etablissement, das an der Ecke Potsdamer- und Kurfürstenstraße errichtet werden soll: in dem siebenstöckigen Gebäude, das im Kiez noch immer „Wegert-Haus“ genannt wird. Der Umbauantrag für ein 40-Zimmer-Großbordell in den drei oberen Etagen ist gestellt. Der Bezirk ist entschlossen, Nein zu sagen, obwohl der Antrag baurechtlich zulässig ist. Sperrbezirk – das erinnert an den Hit der Spider Murphy Gang „Skandal um Rosi“. Sie sangen 1981 vom Münchner Hofbräuhaus und reimten: „Doch Freudenhäuser müssen raus, damit in dieser schönen Stadt das Laster keine Chance hat.“ In München sind fast 30 Sperrbezirke ausgewiesen, in denen Prostitution „zum Schutze des öffentlichen Anstandes und der Jugend“ verboten ist. In Berlin gibt es eine entsprechende Rechtsverordnung nicht.

Die Innenbehörde fühlt sich am Dienstag für derartige Fragen nicht zuständig, verweist auf die Polizei, die wiederum den Senat als zuständige Adresse nennt. Ein Sperrbezirk, das sei, wenn überhaupt, keine Bezirksentscheidung, sondern „hochpolitisch“ angesiedelt.

Aber das Reizwort ist gefallen. Anwohner, Ladeninhaber, Geschäftsleute sind alarmiert, seit sich die Prostituierten nicht mehr mit der hinteren Kurfürstenstraße begnügen, sondern fast schon provozierend an der belebten Ecke Potsdamer stehen, angelehnt an die Schaufensterscheiben des „LSD“-Sexkaufhauses. Jenes Gebäudes, das als „Wegert-Haus“ Ende der sechziger Jahre der Umgebung geschäftlichen Aufschwung geben sollte.

Es war die Zeit, als die 1930 in Berlin gegründete Fotofirma Wegert kräftig wuchs und an die spätere Insolvenz nicht zu denken war. Mit ihrem Neubau setzte sie zur Begeisterung des Bezirks und der Wirtschaftsverwaltung ein beispielhaftes Zeichen, entschärfte außerdem noch die Schmuddelecke, machte sie stadtbekannt. Das für Berlin neuartige Foto- und Elektronikkaufhaus wurde zu einer der ersten Adressen der Branche, bis Mitte der neunziger Jahre brummte der Laden. Dann aber zog es Wegert, zum Elektronikriesen geworden, an den Kurfürstendamm, das Stammhaus an der Potsdamer Straße sollte abgerissen werden, sobald ein geplanter Büroneubau genehmigt worden wäre. Wegert wollte davon nur einen kleinen Teil nutzen, erste Pläne gingen von einem 16-stöckigen Gebäude aus, Bauverwaltung und Bezirk lehnten den Entwurf ab: Er überschreite die traditionelle Traufhöhe. Überarbeitete Pläne für ein achtstöckiges Gebäude fielen bei den Behörden auch durch. Also trennte sich Wegert von dem Haus, das stehen blieb, aber den alten Glanz verlor. Pläne des Bezirks für ein Kultur- und Medienhaus zerschlugen sich, Investoren fehlten. Läden zogen ein und aus, Büroetagen leerten sich. Das „LSD“ nutzt die zwei frühereren, mit einer Rolltreppe verbundenen Großraumetagen. An den Räumen hat sich bislang nichts geändert: Es ist noch unverkennbar das alte „Wegert-Haus“.

Christian van Lessen

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