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Noch mit Hoffnung: Klaus Wowereit (links) und Thilo Sarrazin warteten auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

© dpa/dpaweb/Uli Deck

Keine Finanzhilfen für die Hauptstadt: 19. Oktober 2006: Berlin allein zu Haus

Vor zehn Jahren scheiterte die Stadt mit der Klage auf rettende Finanzhilfe. Ein Rückblick auf bittere Zeiten.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Es war ein schlechter Tag für Berlin. Vor zehn Jahren, am 19. Oktober 2006, wies das Bundesverfassungsgericht die Klage des damaligen rot-roten Senats auf Finanzhilfen für die Hauptstadt ab. Sonderzuweisungen des Bundes „zum Zwecke der Sanierung eines Not leidenden Landeshaushalts“ seien ein Fremdkörper im föderalen Finanzausgleich und kämen nur als „Ultima ratio“ in Betracht. So stand es im Urteil, das von der Bundesregierung und den anderen Ländern mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen wurde.

Eine Bundeshilfe käme nur in Betracht, entschieden die Richter, wenn ein Bundesland durch eine extreme Haushaltsnotlage in seiner Existenz bedroht sei und sich aus dieser Lage nicht aus eigener Kraft befreien könne. Voraussetzung sei auch, dass das Land „alle ihm verfügbaren Möglichkeiten der Abhilfe erschöpft hat, so dass sich eine Bundeshilfe als einzig verbliebener Ausweg darstellt“. Damit war die Klage Berlins gescheitert, obwohl die Hauptstadt unter einer gigantischen Schuldenlast ächzte und die Bevölkerung sowie die öffentliche Verwaltung drastische Sparmaßnahmen verkraften mussten.

Dem Senat mit Klaus Wowereit (SPD) an der Spitze, aber auch der Opposition blieb an diesem Tag die Spucke weg. Mit einer solchen Entscheidung hatte niemand gerechnet. Der erste, der einen vernünftigen Satz herausbrachte, war Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD). „Das Leben geht weiter und das Urteil ist klar“, verkündete er. „Uns hilft keiner mehr, wir müssen uns selber helfen.“ 

Die Entscheidung erwies sich als klug

Immerhin gab das Bundesverfassungsgericht dem Senat noch ein paar Tipps mit auf den Weg. Die Haushaltsprobleme Berlins lägen hauptsächlich auf der Ausgabenseite. Trotz guter bis überdurchschnittlicher Einnahmen hätten es „etwaige Konsolidierungsbemühungen“ zwischen 1995 und 2004 nicht vermocht, die hohen öffentlichen Ausgaben zu reduzieren. Sparpotenziale „erheblichen Umfangs“ sahen die Richter vor allem in den Bereichen Hochschulen und Wissenschaft, Kultur, Gesundheit und Umwelt, Sport und Erholung.

Aber auch bei den Sozialausgaben. Außerdem regte das Gericht weitere Privatisierungen, beispielsweise der städtischen Wohnungsunternehmen, und eine Erhöhung der Gewerbesteuer an. Verwiesen wurde im Urteil auch auf die überdurchschnittliche Personalausstattung des öffentlichen Dienstes.

In Berlin stellte man sich nach dem Urteil quälende Fragen. Welche Sparmaßnahmen waren noch vertretbar, ohne die Stadt zugrunde zu richten? Welche Einnahmequellen ließen sich mobilisieren, um aus der chronischen Verschuldungslage endlich herauszukommen? Die in Karlsruhe verlorene Klage gab dem öffentlichen Diskurs über eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung neuen Schub. Stark begünstigt vom Wirtschaftsboom und einer dauerhaften Phase niedriger Zinsen ließen die Erfolge nicht lange auf sich warten. Sogar die globale Finanzkrise 2007/08 überstand Berlin fast unbeschadet. In beiden Jahren schrieb der Berliner Haushalt, oh Wunder, erstmals seit der Wende schwarze Zahlen.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die am Tag der Verkündung kalt und brutal wirkte, fast wie eine Kriegserklärung gegen die ehemals geteilte Hauptstadt, erwies sich im Nachhinein als klug und weitsichtig. Schon bei der mündlichen Verhandlung am 26. April 2006, hatte der Vorsitzende Richter Winfried Hassemer launig und bildhaft geschildert, dass es nicht um einen Streit zwischen dem Bund und Berlin ging, sondern um den Schutz des bundesstaatlichen Finanzgefüges. Es sei wie auf dem Hühnerhof, sagte Hassemer vor den Ministern, Regierungsdirektoren und Starjuristen, die der Bund und alle 16 Länder nach Karlsruhe geschickt hatten. Zuerst gebe es ein paar arme Hühnchen, denen man helfen müsse. „Doch inzwischen habe ich den Eindruck, dass sich auf dem Hühnerhof die Vogelgrippe ausgebreitet hat.“

Die Rede war von 35 Milliarden Euro

Die ersten kranken Hühnchen auf dem föderalen Landgut – das waren Bremen und Saarland, die aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 1992 bis 2004 Sanierungshilfen des Bundes erhielten, um ihre „extreme Haushaltsnotlage“ zu beseitigen. Die Berliner hatten auf einen ähnlich mildtätigen Richterspruch gehofft, mit dem erklärten Ziel, dass der Bund einen Teil der Schulden übernimmt. Die Rede war von 35 Milliarden Euro. Das waren andere Dimensionen als die Hungerhilfe für Bremen und Saarland, da wurden den Finanzministern im Bund und in den anderen Ländern die Knie weich. Zumal die öffentlichen Finanzen bundesweit in keinem guten Zustand mehr waren.

Im September 2004 hatte der Berliner Senat aus SPD und Linken beschlossen, nach Karlsruhe zu ziehen. Wenige Monate später warnten die fünf „Wirtschaftsweisen“ vor den Konsequenzen. Die föderale Gemeinschaft werde an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit geraten und ein Urteil zugunsten Berlins werde andere Länder ermuntern, keine solide Haushaltspolitik mehr zu betreiben. Das Bundesverfassungsgericht fand solche Argumente offenbar schlüssig. Nach 2006 hat auch kein anderes Bundesland mehr versucht, via Karlsruhe an schnelles Geld zu kommen.

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