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Öffentliche Sauberkeit: Keine Freiheit ohne Verantwortung - das gilt auch für Berlin

Oft fordern Berliner ein härteres Durchgreifen gegen die Verwahrlosung ihrer Stadt. Dabei können Sie sich nur selbst helfen, meint Jens-Holger Kirchner, grüner Ordnungsstadtrat in Pankow.

Berlin ist hip. Und gerne vergleicht sich Berlin mit anderen Großstädten. Immer wieder wird darauf verwiesen, welch ein großes Vorbild New York sei. Wenn es um öffentliche Ordnung, Sauberkeit, die Einhaltung von Regeln in Berlin geht, werde ich in Gesprächen immer wieder darauf hingewiesen, dass es auch nur so wie in Amerika funktionieren kann. Wir sollen nur hart genug durchgreifen und strenger bestrafen. Schauen wir genauer hin.

Die Ordnungsbehörden in New York haben mit harten Restriktionen einer zunehmenden Verwahrlosung des öffentlichen Raumes entgegengewirkt. In New York gelten strenge Regeln. Rauchen im Central Park – 50 bis 250 Dollar Strafe. Hundekot einfach auf der Straße liegen lassen – dort mittlerweile undenkbar. Abfall fallen lassen; da gibt es dann aber richtig Ärger – 350 Dollar Strafe und 48 Stunden soziale Arbeit. Stellen wir uns das übertragen auf Berlin vor. Wollen wir das wirklich?

Um nicht missverstanden zu werden. Ich will auch die andere Seite der Medaille nicht einfach hinnehmen. Es ist schon erstaunlich, wie lieblos bis schlampig, manchmal sogar unverschämt dreist viele Berlinerinnen und Berliner mit ihrer, mit unserer Stadt, umgehen. Fragt man nach, lieben fast alle „ihre“ Stadt Berlin. Über 50000 Kilogramm Hundekot jeden Tag, die auf Berlins Straßen liegen bleiben, sprechen eine andere Sprache. Auch die allein an Pankows Straßen und Grünflächen illegal entsorgten 520 Tonnen Müll im Jahr 2010 sagen genau das Gegenteil. Das sind jeden Tag knapp 1,5 Tonnen Grünschnitt aus Kleingärten und Siedlungen, Hausmüll, Partyreste, Bauschutt, ganze Wohnungseinrichtungen, Farben, Autobatterien, technische Geräte, Sperrmüll.

Mal ehrlich, Liebe sieht anders aus.

Machen wir uns nichts vor – die Verwahrlosung öffentlichen Raums führt oftmals zu noch mehr Verwahrlosung – auch im Zwischenmenschlichen. Da hat es gute Nachbarschaft, Respekt, Toleranz und gegenseitige Rücksichtnahme, ich will ja gar nicht von Freundlichkeit in Berlin reden, oftmals schwer. Ich glaube auch nicht, dass das irgendwer wirklich cool findet oder daraus ein bestimmtes schützenswertes Flair machen will.

Bei solchen Entwicklungen greift dann die Logik der schnellen Forderungen nach stärkeren Kontrollen, härteren Strafen und effizienteren Methoden der Überwachung, um eine Änderung der Verhältnisse erreichen zu wollen. Diese Diskussion führt logischerweise zu gravierender Unverhältnismäßigkeit staatlichen Handelns und endet meist in einer Schieflage. Die Forderung nach der Verfolgung von Hundekotsündern mit Zivilstreifen, die den Leuten beim Gassi-Gehen hinterherschnüffeln, sind ein solches Beispiel. Zivilstreifen wegen Hundekot.

Lesen Sie mehr im zweiten Teil: Den Nachbarn zum Mitnehmen der Hundekacke ermuntern

Das passt nicht in eine Stadt, die auf Freiheit setzt. Das passt nicht zu uns Bürgerinnen und Bürgern, die Freiheit schätzen gelernt haben. Diese Überlegungen führen zu mehr Unfreiheit jedes Einzelnen. Damit wird schleichend das süße Gift der bequemen Verantwortungslosigkeit verbreitet. Die alleinige Verantwortung jedes Einzelnen wird delegiert auf die Ordnungsbehörden und die Polizei – „die“ brauchen ja nur mehr zu kontrollieren, um für mehr Ordnung zu sorgen. Und die BSR räumt uns unseren Dreck hinterher. Wozu bezahlen wir schließlich Steuern.

Und dann dreht sich die Überwachungsschraube weiter – mehr Kontrolle, härtere Strafen, mehr Überwachung. Meine Idee ist die einer freien Stadt mit freien Bürgern, die auch Verantwortung für ihre Stadt zu übernehmen bereit sind. Weil, ohne das eine kann es das andere nicht geben. Gerade in einer Stadt, die wegen der langen Unfreiheit besonders überzeugend mit der Marke „Freiheit“ wirbt, sollte es möglich sein, unsere Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Wer hier gleich die Forderungen nach einer Bürgerwehr und den Rückzug der Ordnungsämter und der Polizei aus dem öffentlichen Raum unterstellt, begreift nicht, worum es mir geht.

Sorgsamer mit unserer Stadt umzugehen - dafür ist niemand anderes verantwortlich als wir selbst. Kein Ordnungsamt, keine Polizei kann und wird uns unsere Verantwortung für unsere Stadt abnehmen. Die haben aus meiner Sicht wichtige andere Aufgaben.

Sorgsamer mit unserer Stadt umzugehen fängt schon damit an, beim nächsten Mal den Nachbarn (freundlich) darauf hinzuweisen, dass er die Hundekacke mitnehmen soll, und hört lange nicht dabei auf, den Müll nach dem Grillen im Park einfach wieder mitzunehmen.

Unsere Heimatstadt, also uns, nicht verkommen zu lassen ist nicht spießig. Unsere Heimatstadt, also uns, mit Respekt zu behandeln, ist cool. Nicht umgekehrt.

Jens-Holger Kirchner (Bündnis 90/Die Grünen) ist Bezirksstadtrat für Öffentliche Ordnung im Bezirk Pankow.

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