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"Ehrenmord" oder nicht? Elke Breitenbach (links) und Franziska Giffey wollen die Tat unterschiedlich benennen.

© Annette Riedl, Jörg Carstensen/dpa

Update

„Keine Idee, wie man Männer besser integrieren kann“: Berlins Integrationssenatorin will nicht von „Ehrenmord“ reden – Giffey widerspricht

Ermittler gehen im Fall einer getöteten Afghanin von gekränkter Ehre als Motiv aus. Elke Breitenbach will Gewalt gegen Frauen allgemein thematisieren.

Berlins Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) sieht in der Tötung der 34-jährigen Afghanin Maryam H., die in Berlin mutmaßlich von ihren Brüdern umgebracht wurde, weil sie die westliche Lebensweise ihrer Schwester nicht gebilligt haben sollen, keinen Ehrenmord.

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„In Deutschland wird jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Das ist kein Ehrenmord, das ist Femizid“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Und ich habe leider keine Idee, wie man Männer besser integrieren kann. Es geht nicht um die Herkunft und die Nationalität der Täter, es geht um die Frage des Geschlechts.“ Der Deutschen Presse Agentur (dpa) sagte Breitenbach am Montag, dass sie den Begriff "Ehrenmord“ auch deshalb für unpassend halte, weil darin "die Rechtfertigung der Täter" stecke. „Bei Mord gibt es keine Ehre", sagte Breitebach der dpa, weshalb sie den Begriff „Femizid“ verwende.

Es gehe dabei immer um patriarchale Strukturen. „Die Täter sind Ehemänner, Partner, Väter, Söhne, Brüder und andere männliche Angehörige.“ Diese Strukturen gelte es zu durchbrechen. „Auch deshalb wird gefordert, Femizid strafrechtlich zu definieren“, sagte Breitenbach. Es sei wichtig, Frauen zu unterstützen, zu schützen und zu stärken, wenn sie aus diesen Strukturen ausbrechen wollten.

Die Staatsanwaltschaft Berlin geht davon aus, dass die beiden Brüder im Alter von 22 und 25 Jahren die Mutter von zwei Kindern ermordet haben. Die Männer sollen sie „aus gekränktem Ehrgefühl“ getötet haben, es soll nicht den Moralvorstellungen der Verdächtigen entsprochen haben, wie die Frau lebte: Sie war geschieden, soll einen neuen Partner gehabt haben, sich geschminkt, westlich gekleidet haben – und ohne Kopftuch. Die Leiche sollen sie in einem Koffer per Bahn nach Bayern geschafft und dort vergraben haben.

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Breitenbachs Einschätzung stößt beim CDU-Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhaus-Wahl, Kai Wegner, auf scharfe Kritik: "Solche Antworten sind ein Teil des Problems. Frau Breitenbach leugnet die Realität, um ihr brüchiges Weltbild zu stabilisieren. Wer die religiös-kulturellen Hintergründe von sogenannten Ehrenmorden abstreitet, schützt die Täter und lässt die Opfer im Stich. Wir brauchen aber eine Kultur des Hinsehens. Bei der Unterdrückung von Frauen im Namen einer vermeintlichen Ehre brauchen wir null Toleranz." 

Wegner: Wer sich Integration verweigert, muss mit Konsequenzen rechnen

Wer aus Ländern mit archaischen Ehrvorstellungen in Deutschland um Schutz ersuche, solle in verbindlichen Integrationskursen die Grundlagen des Zusammenlebens vermittelt bekommen. "Jeder, der zu uns kommt, muss wissen: Die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Religionsfreiheit, die sexuelle Selbstbestimmung und das Eintreten für den Schutz jüdischen Lebens sind unverhandelbar. Die Kurse müssen mit einer verbindlichen Integrationsvereinbarung abgeschlossen werden."

Wer sich der Integration verweigere und die Rechtsordnung missachte, müsse mit Konsequenzen  rechnen, die bis zum Verlust der Aufenthaltsberechtigung reichen können. Ein konsequentes Vorgehen gegen Ehrenmorde, Zwangsheiraten, Unterdrückung und familiäre Zwangsstrukturen sei man besonders auch Frauen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland in Freiheit und Selbstbestimmung leben wollten, schuldig.

Giffey: "Das hat nichts mit unserer freien Gesellschaft zu tun"

Auch die Spitzenkandidatin der Berliner SPD, Franziska Giffey, widersprach der Senatorin. "Es muss klar benannt werden, dass das nichts anderes ist als ein schrecklicher Ehrenmord", erklärte Giffey am späten Sonntagabend bei Twitter. "Nur, wenn wir das tun, wenn Zwangsheirat und Ehrenmorde und auch ihre religiösen und kulturellen Hintergründe keine Tabuthemen sind, können wir wirksam gegen die Ursachen vorgehen."

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Die Berliner SPD-Vorsitzende forderte harte Strafen für die Täter. "Es handelt sich um ein archaisches Welt- und Frauenbild, vor dem solche Taten begangen werden", schrieb Giffey. "Das hat nichts mit unserer freien Gesellschaft zu tun." Der Rechtsstaat müsse dem "entschieden entgegentreten und unsere offene Gesellschaft verteidigen".

Psychologe Mansour: "Sehr viele relativieren diese Probleme"

Der deutsch-israelische Psychologe Ahmad Mansour sieht die Gefahr, dass man Ehrenmorde klein rede. Der arabisch stämmige Autor, der seit vielen Jahren mit Flüchtlingen arbeitet und sich mit Projekten gegen Unterdrückung im Namen der Ehre befasst, erklärte in einem Interview mit dem Tagesspiegel: „In der Gesellschaft herrscht kaum ein Wahrnehmungsbewusstsein für die Probleme, die es bei der Integration von Migranten gibt. Sehr viele verdrängen oder relativieren diese Probleme. Bei Ehrenmord wird von Femizid gesprochen, vom allgemeinen Phänomen von Gewalt gegenüber Frauen.“

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Natürlich gebe es diese allgemeine Gewalt gegen Frauen, „aber wenn wir dabei die kulturellen und religiösen Hintergründe von bestimmten Phänomenen ausblenden, hilft das nicht weiter.“ Er habe den Eindruck, dass teilweise die allgemeine Diskussion über die Abwertung von Frauen und die Ablehnung von Emanzipation und Gleichberechtigung dazu führt, „dass wir im Speziellen nicht weiterkommen.“

Grüne: "Haben sogenannte Ehrenmorde früh in den Fokus genommen"

Benedikt Lux, der innenpolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, sagte dem Tagesspiegel: „Wir haben sogenannte Ehrenmorde sehr früh in den Fokus genommen. Frauenhass müssen wir bekämpfen und patriarchale Strukturen aufbrechen, egal wo sie uns begegnen. Mit dem Hatun-Sürücü-Preis engagieren wir uns schon lange, um mehr Sichtbarkeit für die Thematik zu erzeugen und um klar zu sagen, dass Frauen ein selbstbestimmtes Leben führen können müssen. Berlin hat in den letzten Jahren diverse Instrumente im Bereich Integration, Prävention und Schutz von Frauen ausgebaut.“

Ob und wie es im vorliegenden Fall konkrete Maßnahmen gegeben habe, könne man noch nicht beurteilen. „Das muss ausgewertet werden, dann kann man konkrete Ableitungen treffen. Auf jeden Fall muss der Rechtsstaat solche abscheulichen Verbrechen konsequent verfolgen und Schutz- und Präventionsangebote besser bekannt machen.“

Die Ermordete und ihre Brüder kamen als Flüchtlinge nach Deutschland. Nach Angaben der „B.Z.“ sollen die Brüder immer wieder Druck auf ihre Schwester ausgeübt haben. Sie hätten versucht, den Kontakt zu allen anderen Menschen zu unterbinden. Die Mutter, die in einer Flüchtlingsunterkunft in Lichtenberg gelebt hatte, bevor sie nach Hellersdorf gezogen ist, habe in ständiger Todesangst gelebt.

Der Fall erinnert den Tod Hatun Sürücüs. Am 7. Februar 2005 war die damals 23-Jährige in einer Bushaltestelle in Tempelhof von ihrem jüngsten Bruder mit drei Kopfschüssen ermordet worden. Sie hatte sich aus der Ehe mit ihrem Cousin befreit und war mit ihrem Sohn Can von Istanbul zurück nach Berlin gezogen.

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