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Berlin: „Keine Lust zu weiteren Kriegsspielen“

Am Nollendorfplatz wurde ich Zeuge eines blutigen Vorfalls. Ein junger Bursche, kaum mehr als 17 oder 18 Jahre alt, stürmte atemlos aus dem UBahnhof.

Am Nollendorfplatz wurde ich Zeuge eines blutigen Vorfalls. Ein junger Bursche, kaum mehr als 17 oder 18 Jahre alt, stürmte atemlos aus dem UBahnhof. Offensichtlich wurde er verfolgt. Er warf ein Kleiderbündel von sich und sprang wie ein gehetztes Wild in die Parkanlagen neben der U-Bahn hinein. Aber er kam nicht weit. Zwei in Zivil gekleidete Männer hasteten hinter ihm her. Als er ihrer Aufforderung, stehenzubleiben, nicht nachkam, schossen sie. Der junge Mensch wurde getötet. In seinen Taschen wurden keinerlei Ausweise gefunden.

Die Leute strömten aus der Bahnhofshalle. Bald drängte sich eine Schar um den Getöteten und um die beiden Zivilisten mit den Revolvern. Mit gedämpften Stimmen besprachen die Zuschauer das Vorgefallene.

Die beiden Zivilisten seien Kriminalbeamte, deren Aufgabe darin bestehe, Ausschau nach Deserteuren zu halten. Zivilisten im wehrpflichtigen Alter mußten den Beamten ihre Papiere vorzeigen. Auch der junge Bursche war angehalten worden. Aber er lief den Beamten davon, und diese Flucht hatte ihn das Leben gekostet.

– „Ob er wohl Ausländer ist?“, fragten die Leute, während sie auf den Toten starrten.

– „Wohl kaum“ entgegnete ein älterer Mann. Als Ausländer hätte er doch gültige Legitimationen bei sich gehabt. Er ist wohl einer aus unseren Reihen, der keine Lust zu weiteren Kriegsspielen verspürte...

– „Er ist doch nur ein Kind“, äußerte eine Frau. War es denn nötig, ihn gleich zu erschießen?

(Aus „Der Untergang Berlins“ von Jacob Kronika, Christian Wolff Verlag, Flensburg/Hamburg 1946. Nach „Reisen ins Reich“, zusammengestellt von Oliver Lubrich, Eichborn-Verlag, Frankfurt (Main) 2004)

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