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Berlin: Keine Ruhe nach dem Sturm

Von Annette Kögel Brandenburger Tor, Alexanderplatz, Pfalzburger Straße. Dieser Tage rollen Reisebusse auf ungewohnten Sightseeing-Routen durch Berlin: zum Orkanchaos-Gucken nach Wilmersdorf.

Von Annette Kögel

Brandenburger Tor, Alexanderplatz, Pfalzburger Straße. Dieser Tage rollen Reisebusse auf ungewohnten Sightseeing-Routen durch Berlin: zum Orkanchaos-Gucken nach Wilmersdorf. Auch Christoph von der Nahmer und Julia Fischer aus der Pfalzburger 15 haben den Fotoapparat dabei. Vor ihrem Haus, wo einst ein Baum stand, verdörren nun Ast- und Wurzelwerk langsam in der Sommerhitze. „Das tut mir total Leid“, sagt die 26-jährige Studentin. Seit der Orkannacht vom Mittwoch haben unzählige Straßenzüge ihr Gesicht verändert. Auch hier. Eine Ortsbegehung am Wochenende danach.

Bäume sind wahrhaft zu vielem nütze. Man kann Fahrräder an sie lehnen, sie von Lichterketten umschlingen lassen, Suchzettel wie „Kaufe Bücher“ in ihre Rinde pinnen, an ihnen seine Notdurft verrichten oder darunter Schatten finden. Wie vor der „Taberna de Bellas Artes“. Innerhalb von Minuten war der Wipfel entastet und waren die Gäste nach innen geflüchtet. Zum Glück wurde niemand verletzt. Um was für einen Baum es sich handelt, dem der Inhaber schon mal eine Gießkanne spendierte? Die Bedienung ist sich nicht sicher, Heimatkunde liegt schon etwas länger zurück. Jürgen Ahlburg, 54, der mit Hund Püppi über die Stämme klettert, kennt sich besser aus.

Viele Bäume stehen schief

Der Mann kommt aus dem Landschaftsbau. „Sehen Sie mal: Das Holz ist innen dunkel. Pilz.“ Für Baumpflege – gießen, lockern, düngen – sei in den Grünämtern kein Geld mehr da, zudem seien die Wurzeln beim Verlegen der Gasleitungen beschädigt worden. Zu groß wachsende Bäume seien in der engen Straße gepflanzt worden. Ahlburg zeigt auf den festen Sand unter Stämmen, die noch stehen: Risskanten, viele Bäume sind, kaum sichtbar, abgekippt, stehen schief. Kein Wunder, dass viele auf der Straße statt unter Stämmen laufen.

Der Schreck sitzt tief, auch bei Julia und Christoph. Das Dach ist zum Glück schon wieder neu eingedeckt, „die halbe Pappe war weggeflogen“. Die 26-Jährige „hatte Angst“, sagt sie, und auch ein paar Häuser weiter in der Nummer 68 wird die Naturgewalt als „hochdramatisches Erlebnis“ in Erinnerung bleiben, wie Constanze Riemer das ausdrückt. „Als die Bäume abknickten, hörte sich das Krachen an wie Gewehrschüsse.“ Man trifft sich zum Sturm-Smalltalk unter Nachbarn, auch hier, vor Getränke-offmann. Erst flogen die Fenster, dann die Luftmatratzen, erzählt Uwe Riemer. „Hoch über den Häusern segelte eine durch die Luft, wo sonst die Schwalben fliegen.“ Beängstigend war das, auch Töchterchen Charlotte bekam mit, dass da etwas nicht stimmt. Gut, dass die Obstbäume, die die Nachbarn hegen und pflegen, im windgeschützten Hinterhof wachsen. Immerhin entdecken die Kinder jetzt abgeknickte Halteverbotsschilder als Kletterstange und Straßenrutsche. Familie Riemer bieten sich ungeahnte Perspektiven aus dem vierten Stock. „Wir gucken jetzt direkt auf den Neubau gegenüber, nicht gerade schön.“

Aber es gibt auch Anwohner, die dem Unheil bringenden Orkan etwas Positives abgewinnen. Student Stefan Heinemeyer, 21, freut sich, dass „mal was los war“. Die Frau packt die Einkaufstaschen aus dem Auto und bahnt sich den Weg durch Äste, Zweige, Wurzeln ins Haus, vor dem kürzlich noch ein Baum stand: „Das klingt jetzt makaber. Aber unsere Wohnung ist viel heller geworden.“

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